Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Menschen so was antun. Und dann zu sehen, zu wissen, ich habe doch jemand etwas angetan, was ihm den Tod gebracht hat; die Sache mit sich selber auszumachen, das ging gar nicht.«
»Aber du hast das schon realisiert: Ich habe da etwas getan, das war nicht gut …«
»Später, ja. Wie viele Stunden später, ob das wirklich Stunden oder nur Minuten waren, das weiß ich gar nicht. Es kam mir auf jeden Fall viel später vor.«
Mir fällt jetzt auf, dass er einen wichtigen Aspekt ausgespart hat. Ich spreche ihn darauf an.
»Thomas, ich möchte, dass du gedanklich noch einmal zurückgehst, an die Stelle, bevor du neben dem Patienten stehst. Was geht dir durch den Kopf, wenn du das Zimmer betrittst?«
»Ja, ich bin da reingekommen, irgendwas musste ich bei dem Patienten machen. Ich weiß nicht mehr, ob das nur routinemäßig war oder ob ich ihm irgendwelche Medikamente geben musste. Irgendwas war da auf jeden Fall zu tun. Also ich bin da nicht grundlos reingegangen …«
»Kanntest du den Patienten?«
»Ja, ich bin schon ein paar Male vorher bei ihm gewesen.«
Ich stelle ihm jetzt eine Kontrollfrage: »Und in welchem Zustand war er? Konnte er mit dir reden?«
»Nein, er konnte nicht mit mir reden. Wie schon gesagt, er ist nach einem Herzinfarkt zu lange ohne Sauerstoffversorgung gewesen, so dass da keine Reaktion oder Kommunikation mehr möglich war.«
»Hattest du an diesem Tag vorher ein besonders frustrierendes Erlebnis? Warst du schlecht drauf?«
»Nein.«
»Alles so wie immer?«
»Es war eigentlich nichts Außergewöhnliches. Es war auf der Station generell zu der Zeit keine gute Stimmung. Vorher war ich noch vierzehn Tage in Urlaub gewesen. Und ich komme auf die Station zurück, ob das an dem Tag war oder ein Tag vorher, das weiß ich gar nicht mehr so genau; jedenfalls sprachen mich zwei Patienten an, die schon länger da waren: ›Ach Thomas, schön, dass du wieder da bist.‹ Die sagten das mit so einem komischen Unterton. Ich dachte, holla, was ist denn hier los? Da hat es wohl wieder Streit zwischen Mitarbeitern und einem anderen Patienten gegeben, so genau bin ich da nicht dahintergestiegen. Da hat wohl für eine Zeitlang ein sehr komischer Ton geherrscht, während meines Urlaubes.«
»Gab es dafür noch andere Anzeichen?«
»Wenn man längere Zeit in dem Beruf ist und man kommt auf die Station zurück, dann bemerkt man genau, wenn die Stimmung schlecht ist, ohne dass man jemand gesehen oder gesprochen hat. Da ist irgendwie so eine miese Stimmung in der Luft. Man macht die Tür auf und merkt, da ist irgendwas. Und irgendwas war da.«
»Was war denn vorgefallen?«
»Das hab ich nie rausgekriegt. Eben nur, dass es irgendwie Stunk gegeben hatte. Vielleicht wollte ich es auch gar nicht wissen. Das war jedenfalls keine einfache Situation.«
Das ist mir zu unkonkret. Ich habe auch das Gefühl, er könnte sich gedanklich schon wieder zu weit von seiner ersten Tat entfernt haben, die er mir ebenfalls nur fragmentarisch angeboten hat. Ich versuche also, ihn wieder in das Patientenzimmer zurückzuführen.
»Kannst du noch mal nach dem Mann im Zimmer schauen? Hast du ein Bild vor Augen?«
»Ja …«
Er konzentriert sich. Seine Körperspannung nimmt wieder zu. Er zieht die Schultern zusammen.
»Kannst du die Tür aufmachen? Was siehst du?«
»Ich sehe ein Pflegebett. Darin liegt ein Mann, und zwar auf dem Rücken. Regungslos. Zugedeckt mit einem weißen Laken, dahinter sehe ich den Infusionsständer. Es ist ein sehr steriles Zimmer.«
»Und dann gehst du hinein …«
»Ich gehe da rein und gebe dem was zu trinken oder versuche es zumindest.« Thomas Bracht schaut mich kurz an, bevor er fortfährt. »Schlucken konnte er nur unter größter Anstrengung, manchmal auch gar nicht. Teilweise haben wir ihm dann noch die Lippen angefeuchtet mit so einem Wattestift, der in Wasser getaucht wird oder in so ein Gel. Er wurde umgelagert, damit er sich nicht wundliegt. Da wurde geguckt, ob die Fusion noch vernünftig läuft, eventuell wurde noch eine neue Flasche drangehängt. Und das war’s eigentlich, mehr wurde nicht gemacht. Es war eigentlich allen klar, der ist jetzt bei uns so lange geparkt, bis er entweder in ein Pflegeheim geht oder stirbt. Es war keine Chance mehr, generell überhaupt keine Chance mehr, dass er jemals wieder zu Bewusstsein kommen würde. Man hat bei dem, soviel ich weiß, noch mehrere EEGs geschrieben und mehrere Computertomographien gemacht. Und da war immer klar, da ist vom Hirn
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