Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Rechtsanwalt teilt mit, er hege keinen Zweifel an der Täterschaft des Inhaftierten, doch möge er, Manfred Mohn, sorgsam abwägen, ob er sich das Studium der Unterlagen zumuten wolle.
Manfred Mohn will, legt den Stapel Papier vor sich auf den Tisch und beginnt zu lesen, Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort; endlich erfährt er, wie und warum sein Sohn ums Leben gekommen ist.
Kripo und Staatsanwaltschaft gehen nach Abschluss der Ermittlungen von folgendem Tatverlauf aus: Gegen Mitternacht schlich sich Matthias Bruns in das Internat – vermummt mit einer Sturmhaube – und drang offenbar durch die geöffnete Haustür in die Unterkunft ein. Gezielt wählte er das letzte Zimmer auf dem Gang aus, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen. Dort fand er den schlafenden Tobias vor, den er bereits vor einiger Zeit anlässlich eines Seminars dabei beobachtet hatte, wie er auf einer Wiese herumgetollt war. Matthias Bruns gefiel der Junge seinerzeit so gut, dass er ihn wiedersehen wollte. Die Entscheidung, das Internat aufzusuchen, fiel jedoch spontan, als er auf einer seiner nächtlichen Spritztouren in der Nähe des Internats auf das entsprechende Hinweisschild stieß.
Zunächst glaubte Matthias Bruns, Tobias wäre allein, erst durch Schlaf- bzw. Aufwachgeräusche wurde er auf den anderen Jungen aufmerksam. Kurzentschlossen weckte er Tobias und forderte ihn unmissverständlich auf, ihm zu folgen. Tobias, noch schlaftrunken und im Schlafanzug, hat sich, so die Annahme der Ermittler, nicht gewehrt. Matthias Bruns nahm die Tageskleidung des Jungen mit in den Aufenthaltsraum. Im Haus war es immer noch still, und er forderte Tobias auf, sich umzuziehen. Als plötzlich Stimmen von Erwachsenen zu hören waren, zwang er Tobias, mit ihm aus dem Fenster zu steigen. Draußen fesselte er den Jungen mit einem Seil.
Als er den frierenden Jungen unter dessen Bekleidung berühren wollte, wich Tobias zurück und sträubte sich dagegen, woraufhin Matthias Bruns ihn in den Wagen verschleppte.
Dort realisierte er offenbar, dass Tobias seinen Pkw gesehen und das Nummernschild abgelesen haben könnte. Kurz darauf fuhr er los. An einer Landstraße hielt Matthias Bruns schließlich an, stieg mit dem Jungen aus und würgte ihn, um eine mögliche Wiedererkennung auszuschließen. Anschließend fuhr er zunächst ziellos mit der Leiche im Kofferraum herum, bis er Verden erreichte und den Leichnam in den dortigen Dünen vergrub.
»Ich sah mich durch die Ermittlungen bestätigt, dass es sich um einen psychopathischen Mörder handelt. Aber im Ergebnis war es viel monströser, als ich es vorher gedacht hatte. Natürlich kam mir jetzt wieder hoch, was der Junge in seinen letzten Minuten noch hatte erleiden müssen. Wenn der Typ da betrunken reingegangen und das irgendwie passiert wäre, das hätte ich ja noch begreifen können. Aber so – dafür habe ich kein Verständnis. Dass der sich einfach über den Wert eines Menschenlebens hinweggesetzt hatte, das zu lesen, war noch mal erschütternd.«
Manfred Mohn nimmt sich vor, dem Mörder seines Sohnes gegenüberzutreten, ihm ins Gesicht zu sehen, ihm seine Verachtung entgegenzuschleudern. Er will sich aber auch ein Bild machen von dem Mann, der nicht nur seinem Sohn das Leben nahm, sondern auch seine Familie ins Unglück stürzte und neunzehn quälend lange Jahre leiden ließ.
Im Herbst 2011 ist es so weit. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen beginnt der Prozess vor dem Landgericht Stade. Matthias Bruns hat sich seit seiner Verhaftung äußerlich verändert und tut zunächst das, was er in den vergangenen Jahrzehnten auch getan hat: Er versteckt sein Gesicht, diesmal aber nicht hinter einer Maske, sondern einem Aktendeckel. Erst als die Fotografen und Kameraleute den Saal verlassen und das Blitzlichtgewitter abebbt, gibt er die Maskerade auf. Für Manfred Mohn ein ganz besonderer Augenblick.
»Das war schon komisch. In dem Moment hatte ich überhaupt keine besonderen Empfindungen. Ich habe gesehen, wie der da so reinkam und sich hinsetzte. Von den Bildern, die ich vorher gesehen hatte, unterschied er sich, weil er jetzt graue Haare und einen grauen Bart hatte. Aber ich habe ihn gar nicht als Person wahrgenommen. Ich habe es einfach abgelehnt, mich mit dem als Person in irgendeiner Weise zu befassen. Für mich war nur wesentlich, was er als Täter getan hatte und wie das zu bewerten war. Und wenn jemand hinter ihn getreten wäre und ihm mit einer Pistole einen Genickschuss verpasst
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