Killerinstinkt: Serienmördern auf der Spur (German Edition)
Einschätzung: Im Laufe der Jahre hat sich der Angeklagte zu einem kontaktgestörten und einzelgängerischen Menschen entwickelt, der darauf bedacht ist, niemand an sich heranzulassen, um seine abnormen sexuellen Vorlieben nicht preisgeben zu müssen. Insbesondere vor Frauen zog er sich zurück. Überhaupt konnte Matthias Bruns Gefühle besser beschreiben, als sie tatsächlich zu spüren. Er besitzt zwar die Fähigkeit, unangenehme oder belastende Ereignisse auszublenden, und wirkt nach außen korrekt und unauffällig, doch erlebt er sich selbst als sozial unsicher, inkompetent und wenig durchsetzungsfähig.
Dennoch gelang es Matthias Bruns nahezu problemlos, ein Doppelleben zu führen, einerseits als ordnungsliebender, korrekter, zuverlässiger und weitgehend unauffälliger Mann, andererseits als derjenige, der ein heimliches Nachtleben pflegt und sich hemmungslos seinen sexuellen Phantasien hingibt.
Schon mit Beginn der Pubertät wurde dem Angeklagten bewusst, dass er sich nicht für Mädchen interessierte wie die anderen Klassenkameraden, sondern vornehmlich für Jungen und Männer. Später bemerkte er eher zufällig, dass körperliche Berührungen kleiner Jungen bei ihm ein prickelndes Gefühl auslösten. Mit 14, 15 drang schließlich die Erkenntnis zu ihm durch, sexuell anders veranlagt zu sein. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er die Fixierung auf vorpubertäre Knaben um jeden Preis geheim halten wollte. Angesichts dieser von reger Phantasie geprägten Abnormität fürchtete er sich besonders vor seiner Enttarnung und der daraus resultierenden sozialen Ächtung. Deshalb die Morde: Der Angeklagte hat seine Opfer letztlich vor allem getötet, um dem sonst drohenden Gesichtsverlust zu entgehen, weniger wegen der zu befürchtenden Bestrafung.
Die erfolgt schließlich doch, als am 27. Februar 2012 das Urteil gesprochen wird – schuldig im Sinne der Anklage: lebenslange Haft unter Ausschluss einer vorzeitigen Entlassung und anschließende Sicherungsverwahrung. Matthias Bruns wird – wenn überhaupt – erst als alter Mann die letzten Jahre seines Lebens in Freiheit verbringen können.
Matthias Bruns trifft die volle Härte des Gesetzes, weil das Gericht »eine besonders hohe Rückfallgefahr« sieht. Die Tötungen seien aus Verdeckungsabsicht erfolgt, »denn er wusste um die Ächtung seiner Neigungen«.
Der Vorsitzende wendet sich zum Schluss der Urteilsbegründung auch persönlich an den Angeklagten: »Ihnen steht ein langer Leidensweg bevor. Doch unser Rechtssystem sieht immer auch Hoffnung vor. Sie sind und bleiben ein Mensch, gleich was Sie getan haben.«
Diese Worte gelten aber auch Manfred Mohn, der an einem der Verhandlungstage über Matthias Bruns unter anderem Folgendes gesagt hat: »Auch noch mit 65 oder 80 Jahren wird er in der Lage sein, einem kleinen Jungen den Hals zuzudrücken. Ich möchte mit diesem Hinweis nur die Hoffnung ausdrücken, dass diese Kreatur in der Haft sterben wird.«
Einem leidgeplagten Vater möge eine solche Bemerkung nachgesehen werden, so der Vorsitzende, doch im Gerichtssaal hätten humane Maßstäbe zu gelten.
Mit dem Urteil ist das gerichtliche Verfahren abgeschlossen. Matthias Bruns verschwindet für unabsehbare Zeit hinter hohen Gefängnismauern, seine Taten aber bleiben unvergessen – und insbesondere die Eltern der Opfer werden einen Weg finden müssen, das ihrem Kind und ihnen zugefügte Leid zu akzeptieren, ohne ihr Leben darunter begraben zu lassen.
Am 7. März 2012, neun Tage nach der Urteilsverkündung, erhalte ich in den späten Abendstunden eine E-Mail. Absender ist die Familie Mohn. Als ich die Nachricht lese, kommen mir die Tränen. Mir wird mitgeteilt, Manfred Mohn sei »heute Vormittag plötzlich und unerwartet verstorben«.
Seitdem beschäftigt mich eine Frage mehr denn je: Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen?
»Er holt dich heut!«
Samstag, 14. August 1982.
Der knallrote VW Käfer hoppelt einsam über die holprige Autobahn, die Sonne geht gerade auf, der nahezu wolkenlose Himmel verspricht wieder einen wunderschönen Tag mit tropisch anmutenden Temperaturen, links fliegen Pinien vorbei, rechts hohe Oleanderbüsche. Nur hin und wieder sieht Heidi Jäger kurze Ausschnitte der kargen Landschaft, die nun immer bergiger wird. Bis zum Grenzübergang Evzoni/Bogorodica sind es nur noch wenige Kilometer.
Heidi Jäger hat einen dreiwöchigen Strandurlaub in Griechenland hinter sich, die 25-Jährige reist allein zurück in die Heimat. Sie ist bereits um
Weitere Kostenlose Bücher