Killers: Roman (German Edition)
desto besser.
Lucy hatte noch vor Mitternacht gelernt, wie sie die Schmerzen ertragen konnte.
Sie hatte sie einfach angenommen, ließ sich aber nicht von ihnen beherrschen. Ihre Vorstellung, die Schmerzen zu lieben, hatte sich zwar nicht bewahrheitet, aber zumindest war sie jetzt in der Lage, mit ihnen zu leben.
Als sie die Zehen in Richtung der Maschine am Fuß ihres Bettes ausstreckte, zwang sich Lucy angesichts der unbeschreiblichen Schmerzen zu lächeln.
Ihr rechter Zeh berührte gerade so eben das Tablett mit den Instrumenten, aber sie war nicht in der Lage, es zu sich zu ziehen.
Um neunzehn Minuten nach zwei steckte Lucy die Kanüle mit dem Morphium wieder in den Port und drückte auf den Notrufknopf.
Kurz darauf trat eine ihr unbekannte Schwester in ihr Zimmer. Sie war mittleren Alters, etwas übergewichtig und kam auf das Bett zu.
» Ich bin Denise«, begrüßte sie Lucy. » Wie kann ich Ihnen helfen?«
» Ich muss aufs Klo.«
» Ich hole nur kurz die Bettpfanne.«
» Nein! Ich will auf die Toilette.«
» Ich weiß nicht, ob…«
» Dr. Lanz meint, das geht. Soll ich ihm sagen, dass Sie mich nicht lassen? Er war so nett und hat mir seine Telefonnummer gegeben, aber ich will ihn nicht aufwecken.«
Die Schwester erblasste.
» Nein, nein. Lassen Sie ruhig. Ich hole nur schnell den Deputy und einen Pfleger.«
Schwester Denise entfernte zuerst sämtliche Kanülen aus Lucys Port und trennte dann die Abflussröhrchen von ihren Beinen, während der Deputy– es war noch immer derselbe– ihr die Handschelle vom linken Handgelenk abnahm.
Benjamin hob sie wieder aus dem Bett, und der Schmerz war so exquisit, dass Lucy lächeln musste. Er setzte sie in einen Rollstuhl und schob sie dann die drei Meter bis zur Badezimmertür.
» Den Rest schaffe ich schon alleine«, verkündete Lucy und versuchte, sich aufzuraffen. Sie fiel sofort zurück in den Rollstuhl, und ein Blitz alles überschwemmenden Schmerzes schoss durch ihren Po. » Vielleicht aber auch nicht.«
Der Krankenpfleger griff ihr unter die Arme und stellte sie aufrecht.
Lucy stolperte in das Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.
Sie ließ sich auf die Toilettenbrille fallen und kostete den erneuten Schmerz, der durch sie hindurchschoss, einen Moment lang aus. Sie versuchte, ihn richtig zu genießen.
Die Qualen übertrafen alles, was sie bis jetzt erlebt hatte, aber zumindest konnte sie noch immer klar denken, hätte sogar aufstehen, vielleicht sogar noch gehen können.
Lucy zog eine Nadel aus dem Port an ihrem Arm.
» Denise!«, rief sie. » Ich könnte ein bisschen Hilfe gebrauchen!«
Die Tür zum Badezimmer öffnete sich, und die Schwester steckte den Kopf hinein.
» Was ist los, Lucy?«
» Bitte kommen Sie«, hauchte Lucy schwach.
Die Schwester trat ein.
» Und schließen Sie die Tür«, bat Lucy. » Es ist mir sehr peinlich. Eine Frauensache, und ich möchte nicht, dass die Männer dabei zuschauen.«
Die Schwester tat, wie ihr geheißen, und starrte Lucy an.
» Was ist los?«, wiederholte sie.
» Sehen Sie doch«, forderte Lucy sie auf.
Sie hatte Tränen in den Augen.
Freudentränen.
Sie deutete auf ihre Muschi.
Schwester Denise kniete sich hin und lehnte sich dann vor, um einen besseren Blick erhaschen zu können, als Lucy mit aller Wucht mit dem Handballen gegen Denises Nase schlug.
Die Schwester fiel rückwärts auf den Hintern, während Lucy ihre Haare packte und ihr die Nadel in den Hals stach– gerade tief genug, um ein Tröpfchen Blut hervorzulocken.
» Jetzt hör gut zu, Denise«, begann Lucy. Das Adrenalin, das durch Lucys Adern schoss, verdrängte für den Augenblick jeglichen Schmerz. » Ich werde dir die Nadel komplett durch den Hals jagen, wenn du auch nur einen Laut von dir gibst. Verstanden? Nicken, Schlampe.«
Die Schwester nickte.
» Willst du das hier überleben?«
Mehr panisches Nicken.
» Okay, hier der Plan. Was ist das hier für ein Stockwerk?«
» Das vierte.«
» Hat das Krankenhaus einen Keller?«
» Ja.«
» Was ist da unten?«
» Äh…«
Lucy drückte ein wenig fester zu, und die Nadel drang tiefer ein. So gut hatte sie sich den ganzen Tag lang nicht gefühlt. Das war das richtige Leben.
» Warten Sie… Das Labor, Radiologie… Und die Blutbank.«
» Geht doch. Sag dem Krankenpfleger, dass ich blute. Schick ihn in den Keller, um Blut zu holen.«
» Okay.«
» Ich schwöre beim Grab meiner Mutter: Wenn du dich verplapperst, werde ich deinen Hals in ein Nadelkissen
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