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Killerspiel

Killerspiel

Titel: Killerspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marshall
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nichtssagender Nullachtfünfzehn-Klotz, der sich an diesem Tag jedoch durch seine zahlreichen, voll aufgedrehten Ölheizgeräte empfahl.
    Hallams Mutter wanderte mit verschränkten Armen durch den großen Innenraum und sah auf die Uhr. Ihr Sohn, der sich mit der Aussicht auf ein Stück Kuchen in einer Imbissstube vertrösten ließ, stand mitten in der Kirche und wartete ziemlich geduldig darauf, dass sie sich aufgewärmt hatten. Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass er etwas spürte. Etwas, das ihm wie ein Ton vorkam. Er drehte sich in alle Richtungen um. Außer ihm war nur seine Mutter da, die jetzt am anderen Ende vor der Anzeigetafel stand. Anfänglich war auch noch ein Priester da gewesen, doch inzwischen sah er ihn nirgends mehr.
    »Mom«, rief er.
    »Ja?« Ihre Stimme schien aus größerer Ferne zu ihm zurückzuhallen, als das Gebäude umfasste.
    »Hast du gerade auch was gehört?«
    »Nur dich.«
    Er hielt es noch fünf Minuten länger aus und bekam schließlich die Erlaubnis, draußen zu warten. Es war höllisch kalt, besonders nach der stickigen Wärme der Kirche, doch er fühlte sich besser. Als er eine halbe Stunde später seine Fingerspitzen wieder spürte und ein großes Stück Schokokaramelltorte im Magen hatte, wäre es ihm schwergefallen zu sagen, wieso ihm die Kirche dieses unangenehme Gefühl eingejagt hatte.
    In den zwanzig Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte er sich gelegentlich an dieses Phänomen erinnert, und zwar fast ausschließlich, wenn die Arbeit oder der Alltag ihn in irgendein sakrales Gebäude führte. Er hatte sich eine Erklärung zurechtgelegt und sich eingeredet, es wäre das, was in Gebäuden verbleibt, wenn sich Menschen darin über längere Zeiträume schweigend aufhielten: der verbleibende Rest an Stille, ein Restbestand von Andacht – wie auch intensiver Gefühle, die dabei besänftigt, ruhiggestellt und beiseitegeschoben werden; ein Laut, der sich aus allen Stimmen zusammensetzt, die in den Köpfen der Menschen gefangen sind. Der Schwall an Trauer, der sich wie ein Hitzeschleier von den Köpfen ausbreitet, während sie sich ehrfürchtig vor einem mutmaßlichen Gott verneigen.
    Natürlich hatte er diese Theorie noch nie irgendwo erwähnt. Doch genau das empfand er jetzt. Er hörte es viel lauter als je zuvor, und es war ganz gewiss nicht das Echo von Sammlung und Stille.
     
    Er trat in die Mitte des Raums, orientierte sich. Soweit er es beurteilen konnte, erstreckte er sich über die gesamte Breite des Hauses. In diesem Teil des Key waren die Grundstücke relativ schmal, die Häuser folglich in die Tiefe gebaut. Also konnten sie die Seitenwände erst mal ausklammern. Er ging wieder zur Rückseite und wandte sich der linken Ecke zu. Der Kriminaltechniker sah seinem Treiben verständnislos zu.
    »Gehen Sie zur anderen Seite. Stellen Sie sich einen Meter von der Wand weg.«
    »Und dann?«
    »Schlurfen Sie zu mir herüber, immer nur eine Kachelbreite auf einmal. Und sehen Sie dabei auf die Wand.«
    So trippelten sie zusammen los. Nach wenigen Sekunden waren sie im Takt, und es klang wie ein langsamer
Pas de deux
in einer leeren Halle. Hallam ignorierte es, solange er konnte, doch irgendwann hörte er den Techniker kichern.
    »Psst«, sagte Hallam, obwohl er sich selbst auch zusammenreißen musste. »Das ist eine ernste Angelegenheit.«
    Die Mahnung führte nur dazu, dass der Techniker sich nicht mehr halten konnte. Dann blieb er plötzlich stehen. »Warten Sie«, sagte er. »Ich glaube, ich sehe etwas.«
    Hallam begab sich auf seine Seite. »Wo?«
    Der Techniker strich mit dem Finger eine vertikale Fugenlinie zwischen zwei Fliesenreihen hinauf. »Sehen Sie?«
    »Nee.«
    »Alle anderen Linien, die ich bis jetzt gesehen habe, sind ungefähr gleich. Etwa drei Millimeter breite Fugen. Die hier sehen schmaler aus.«
    Hallam sah, dass der Mann recht hatte – auch wenn ihm das nie aufgefallen wäre. Wahrscheinlich geben manche aus diesem Grund gute Techniker ab. Er tastete die Wand zu beiden Seiten der Fuge ab. Nach einer Minute drückte er fester zu.
    Einen Moment später hörten sie etwas klicken. Ein Teil der Wandverfliesung trat um anderthalb Zentimeter zurück.
    Hallam hörte ein Ausatmen. Er war sich nicht sicher, ob es der Techniker oder etwas anderes war. Er bekam die Finger um die Kanten der Tür und zog.
    Dahinter lag ein Korridor, vielleicht neun Meter lang. Zwei Türen links, eine Tür am hinteren Ende rechts. Sie traten zusammen ein. Die Stille, die ihnen

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