Killerspiel
stand die Amazon-Reklamation an zweiter Stelle auf meiner Tagesordnung. Ich schrieb ihnen eine E-Mail, in der ich sie kurz angebunden um Auskunft über die Rückabwicklung einer irrtümlichen Büchersendung bat. Ich hatte bereits die E-Mail mit der Versandmeldung vom Vortag überprüft und festgestellt, dass ich ohnehin nicht mehr viel hätte ausrichten können, da das Buch zu diesem Zeitpunkt bereits unterwegs war. Am meisten ärgerte mich Stephs Reaktion. Das Buch war ja keineswegs Hardcore. Eine Suche von zwei Sekunden im Internet hätte meinen Monitor mit Bildern überschwemmt, die Henrik Myerson – Urheber des Bands, der in meinem Kofferraum lag – die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten. Aber darum ging es nicht. Es ging vielmehr darum, dass die Ankunft des Buchs mich als einen Menschen hinstellte, der so etwas besitzen wollte. Ich habe eine Menge Zeit und Mühe darauf verwandt, mir eine Art persönliches Markenzeichen nach meinen Vorstellungen zu schaffen, und wollte es nicht einfach so hinnehmen, dass es in den Schmutz gezogen wird.
Zumindest war das der erste Punkt. Der zweite war grundsätzlicherer Natur. Ich war in Pennsylvania aufgewachsen. Die Schwester meiner Mutter lebte in South Carolina, und von Zeit zu Zeit verbrachten wir eine Woche bei ihr. Tante Lynn, ein Ex-Hippie, legte großen Wert darauf, Obst und Gemüse aus eigenem Anbau zu verwenden. Das schloss einige stattliche Chilipflanzen ein, die entlang eines Zauns im Garten wuchsen. Die Früchte faszinierten mich. Eine reife Chilischote ist so einladend prall, dass sie dem Ahnungslosen zuruft: »Iss mich!« Meine Eltern hatten mir klare Anweisung gegeben, das ja schön bleibenzulassen, und ich war im Allgemeinen ein wohlerzogenes Kind.
Und so stelle man sich ihre Überraschung vor, als sie eines Nachmittags in den Garten kamen und sahen, dass sich ihr Achtjähriger, den sie friedlich spielend zurückgelassen hatten, vor schmerzhaften Krämpfen wand – offenbar nach dem Verzehr einer dieser Schoten – und nicht einmal mehr in der Lage war, ins Haus zu kommen.
Sie beruhigten und trösteten mich und fütterten mich mit Eiscreme, um das Brennen zu lindern, während sie sich die ganze Zeit ein »Haben wir dich nicht gewarnt?« verkniffen. Ich machte ihnen klar, ich hätte keine Chili gegessen, und sie verschonten mich mit dem Vorwurf der Unglaubwürdigkeit, lächelten vielmehr, wenn sie sich von mir unbeobachtet wähnten. Die Sache ist nur die …
ich hatte keine verfluchte Chili gegessen.
Ich hatte lediglich etwas getan, was gegen kein ausdrückliches Verbot verstieß – Kinder brauchen nun mal genaue Instruktionen, weil sie nicht ohne weiteres vom Besonderen aufs Allgemeine schließen können –, nämlich den Arm ausgestreckt und eine der prallvollen, leuchtend roten Früchte berührt. Ich hatte gestaunt, wie hart sie war, wie fruchtbar und kräftig, dann der verbotenen Frucht den Rücken gekehrt und mit etwas anderem weitergemacht. Offenbar hatte ich mir außerdem mit denselben Fingern über die Lippen gestrichen und meine zarte Kinderschleimhaut, die schon bei der Berührung mit Senf in Flammen stand, der unbarmherzigen Glut einer Scotch Bonnet ausgesetzt.
Der Schmerz war irgendwann vorbei, was aber blieb, war das Gefühl der Ungerechtigkeit – der ungerechten Behandlung durch jemanden, der freundlich über eine Sünde hinwegsah, die ich nicht begangen hatte. Die Art, wie Steph heute Morgen das Eintreffen dieses Buchs abgetan hatte, fühlte sich genauso an – und das Schlimmste war, dass es sich nicht ungeschehen machen ließ. Ich konnte heute Abend mit dem ausgedruckten Beweis nach Hause gehen, dass ich das Buch zurückgeschickt hatte, und sie konnte das als den verzweifelten Versuch auslegen, die Bestellung stur zu leugnen. Selbst wenn sie mir irgendwann glaubte, würde der Moment, in dem sie anders darüber gedacht hatte, weiter an mir nagen.
Ich war über diese Sache immer noch stinksauer, als ein
Ping
mir sagte, dass ich eine E-Mail erhalten hatte. Es war der Amazon-Kundenservice mit den Richtlinien zur Rückgabe eines Buchs wegen irrtümlicher Bestellung.
Mit einem Schlag war ich noch wütender. Ich hatte es nicht irrtümlich bestellt, sondern deren Computer hatte es vermasselt. Ich wusste, dass die Antwort, die ich gerade bekommen hatte, auch computergeneriert war, und das machte es noch schlimmer: Ein Computer, der einem Menschen sagt, wie er einen Irrtum beheben soll, den wiederum ein anderer Computer
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