Killerspiele: Palinskis fünfter Fall (German Edition)
unbemerkt ins Wasser gerutscht. Durch Zufall hatte Mario das regungslose Kind gerade noch rechtzeitig bemerkt, war ins Wasser gesprungen und hatte Enrico herausgezogen. Seither hatte er Freunde fürs Leben in Letoianni, wo die Bannzonis eine Ferienanlage betrieben.
»Bis vor einigen Jahren haben sie mich regelmäßig eingeladen, aber ich habe nie angenommen. Seither habe ich nichts mehr von ihnen gehört, außer den Weihnachtsgrüßen, die mir Enrico nach wie vor jedes Jahr schickt.«
Die Begeisterung der Familie nach der Rettung des kleinen Jungen war so groß gewesen, dass er sogar nach Monreale hatte reisen müssen. Weil ihm der Paterfamilias, Don Vito – jetzt war Palinski auch der Name des Großvaters wieder eingefallen – persönlich hatte danken wollen. Damals hatte sich Mario nicht viel dabei gedacht, sondern vor allem den Flug mit dem extra für ihn gecharterten Hubschrauber genossen.
Der charismatisch wirkende ältere Mann hatte sich zunächst entschuldigt, dass er wegen eines Knöchelbruchs sitzen bleiben musste. Dann hatte er sich würdevoll für die Rettung seines Enkels bedankt und Palinski versichert, dass er immer für den ›grande amico austriaco‹ da sein werde.
»Also, wenn nicht er der ist, mit dem ich sprechen soll, weiß ich nicht weiter«, kam Mario jetzt langsam zum Ende seiner Überlegungen. »Ich denke, ich werde so rasch wie möglich nach Palermo fliegen.«
Zunächst musste er aber mit Giorgio Bannzoni sprechen. Fragen, ob sein Kommen in Ordnung gehen und Don Vito ihn überhaupt empfangen würde. Verzweifelt versuchte er, den mindestens zehn Jahre alten Prospekt der Ferienanlage zu finden, gab aber bald wieder auf. Über die Fernauskunft würde er die Telefonnummer wesentlich schneller und zuverlässiger erfahren, hoffte er. Und tatsächlich, bereits fünf Minuten später hatte er nicht nur die ›Appartamenti Bannzoni‹ in der Leitung, sondern auch ihren Chef persönlich.
»Ola, Giorgio, sono io, Mario di Vienna«, radebrechte er in einem romanischen Kauderwelsch.
»Hallo, Mario«, antwortete Giorgio in perfektem Deutsch, »schön, dass du dich meldest. Übrigens, ›ola‹ ist Spanisch. Das weißt du schon, oder?« Er lachte herzlich. »Ich freue mich, dass wir uns jetzt endlich wieder einmal sehen werden.«
Komisch, schoss es Palinski durch den Kopf. Der Mann musste Hellseher sein. Aber es sollte noch besser kommen.
»Ich weiß nicht, wieso mein Vater das wusste, aber er hat mich auf diesen Anruf vorbereitet«, setzte Giorgio hinzu. Wir haben dich über Milano nach Catania gebucht. Abflug von Wien, morgen, 7.10 Uhr, Ankunft in Catania um 11.50 Uhr. Ich hoffe, dass ist o.k. für dich. Dein Ticket ist bei der Alitalia am Flughafen Wien hinterlegt. Wir lassen dich in Catania abholen. Don Vito freut sich auf dein Kommen.« Ehe der völlig perplexe Palinski noch etwas sagen konnte, hatte der Sizilianer schon wieder aufgelegt.
Wiegele konnte seine Neugierde nicht mehr bezähmen.
»Na und, was ist?«, wollte er wissen.
»Kein Problem, alles in Ordnung. Sogar das Ticket ist schon bezahlt«, erwiderte der Befragte. »Was mich aber absolut irritiert ist, dass man nicht nur meinen Anruf, sondern auch mich bereits erwartet hat. Langsam
fühle ich mich wie eine Marionette. Irgendwo sitzt jemand und zieht die Fäden. Und wir haben keine andere Chance als so zu zappeln, wie man das von uns erwartet.« Er holte tief Luft. »Und das gefällt mir überhaupt nicht.«
* * *
Während der Zug mit Wiegele an Bord bereits im Bahnhof Linz einfuhr und Palinski das Nötigste für ein, zwei Tage in Sizilien packte, wachte Marianne Kogler irgendwo mit leichten Kopfschmerzen aus ihrer Bewusstlosigkeit auf. Verwirrt und desorientiert blickte sie sich in dem düsteren, nur durch eine kleine Tischlampe notdürftig beleuchteten Raum um. Sie versuchte, sich zu erinnern, was geschehen, wie sie hierher gekommen war.
Das letzte Bild, das sie vor Augen hatte, war ein freundlicher junger Mann, der sie am Flughafen erwartet und sich als Mitarbeiter ihres Mannes vorgestellt hatte. An den Namen konnte sie sich nicht mehr erinnern. Aber der war wahrscheinlich ohnehin falsch gewesen.
Vor dem Ausgang wartete eine große Limousine mit Chauffeur auf sie, um sie, wie sie angenommen hatte, auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus zu bringen.
Dann hatte ihr Abholer noch mit etwas zu trinken aus der kleinen Kühlbox im Fond aufgewartet und sie hatte dankbar ein Glas Mineralwasser akzeptiert. Das war der Moment,
Weitere Kostenlose Bücher