Killerspiele: Palinskis fünfter Fall (German Edition)
angenommen.
»Welche Oper wird heute gespielt?«, fragte ihn eine weibliche Stimme. Das war zwar nicht sehr originell, aber eindeutig.
»I Pagliacci«, antwortete Palinski.
»Wie schön«, antwortete die Frau. »Die Dame wird innerhalb der nächsten beiden Stunden bereit sein, an der Vorstellung teilzunehmen.« Damit war das Gespräch auch schon wieder zu Ende.
Als Nächstes teilte Palinski Wiegele die frohe Nachricht mit und vereinbarte, sich am Abend mit ihm in Singen zu treffen.
So, jetzt war sein Kopf wieder frei, sich mit seinen ureigensten Problemen auseinander zu setzen.
An erster Stelle stand da nach wie vor die Frage, wie sein unveröffentlichtes Manuskript ›Spiele im Schatten‹ zu jenen Menschen, soweit man diese Kreaturen überhaupt noch als solche bezeichnen konnte, gelangt war, die seine Fantasien so grauenvoll in die Tat umgesetzt hatten.
Jetzt konnte er sich auch nicht mehr länger der unangenehmen Tatsache entziehen, dass es Wilmas Exemplar war, das quer durch halb Europa bei Don Vito und wer weiß, bei wem noch angekommen war. Ursprünglich wollte er dieser Frage in einem persönlichen Gespräch nachgehen, aber die Zeit drängte und er konnte nicht länger auf die Antwort warten.
Er hatte Glück und erreichte Wilma gleich beim ersten Versuch.
»Schön, dass es dich auch noch gibt«, meinte die Frau, mit der er seit fast 25 Jahren nicht verheiratet war. Die Säure, die aus ihren Worten troff, machte ihm klar, wie verärgert seine Beste sein musste.
Der Hinweis auf Mariannes bevorstehende Freilassung beruhigte sie aber wieder einigermaßen und machte sie einem vernünftigen Gespräch zugänglich.
»Ich verspreche dir, wir holen alle versäumte Zeit nach und noch mehr«, beschwor er sie. »Und du wirst alles verstehen sobald ich dir alles erklärt habe. Jetzt benötige ich aber dringend deine Hilfe.« Die Tatsache, dass eine Kopie des ihr übergebenen Manuskripts bei einem ›Capo di tutti capi‹ aufgetaucht war, machte sie einigermaßen betroffen.
»Und wie kann ich helfen?«, wollte sie wissen.
»Bitte denke einmal nach, wem du das Manuskript zum Lesen überlassen hast, oder wer Gelegenheit gehabt hat, dieses Manuskript zu kopieren«, schärfte er ihr ein. »Das ist ganz wichtig.«
»Du machst mir doch keinen Vorwurf, oder?«, Wilma wirkte leicht eingeschnappt.
»Nein, mein Schatz«, versicherte er ihr. »Aber ich habe nun einmal deinen handschriftlichen Vermerk auf dem Manuskript gesehen, das Don Vito vorliegt. Irgend jemand in der Reihe der Leser nach dir muss es ja schließlich weitergegeben haben.«
Wilma versprach ihm, der mysteriösen Sache sofort nachzugehen. Sie vereinbarten, abends wieder zu telefonieren.
Einige Minuten später wurde Palinskis Flug aufgerufen.
* * *
Marianne Kogler war gegen 14.30 Uhr am Stadtrand von Singen abgesetzt worden. Nachdem sie die Augenbinde entfernt hatte, erkannte sie, dass sie lediglich knapp 500 Meter vom Haus ihrer Eltern entfernt war. Zehn Minuten später stand sie mit ihrem kleinen Koffer vor der Türe und wurde von ihrer vor Erleichterung weinenden Mutter umarmt.
Nachdem sich die ersten Gefühlswallungen etwas gelegt hatten, informierte Emma Bittner ihren Mann telefonisch über Mariannes Heimkehr.
»Papa hat noch einen Klienten, danach kommt er sofort nach Hause«, teilte sie ihrer Tochter mit. »Willst du vielleicht ein Bad nehmen? Ich richte inzwischen etwas zu Essen her.«
Nach einem erfrischenden Bad und einem kleinen Imbiss machte es sich Marianne in dem großen Lehnstuhl in ihres Vaters Bibliothek bequem. Die Spannung der letzten Tage war völlig von ihr abgefallen und sie fühlte sich richtig wohl. Beinahe zumindest, denn auf eine quälende Frage fehlte ihr noch die Antwort.
Offenbar war Marianne eingenickt. Als sie das Geräusch hörte, war es schon dämmrig im Raum. Schnell schloss sie die Augen wieder und stellte sich schlafend.
Da war es wieder, das leichte Schlurfen, das sie gestern zum letzten Mal gehört hatte. Dann der unverwechselbare Duft dieses Rasierwassers. Und als letzte Bestätigung das leise ›Hchn, hchn, hchn‹.
»Du wirst deinen Husten heuer aber gar nicht los, Vater« sagte sie ganz einfach so.
Ernst Bittner war zu seiner Tochter getreten und küsste sie auf die Stirne. »Ja, dieses Jahr ist er besonders hartnäckig.«
»Und der Duft deines Rasierwassers ist einmalig. Ich kenne niemanden, der es sonst verwendet«, setzte sie nach.
»Dein Geruchssinn ist noch immer phänomenal«, erkannte
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