Killing God
Flattern im Blick und mit hängendem Kinn vor lauter fassungslosem Staunen.
Bild ich mir alles nur ein? Oder hat sie gerade
wirklich
gesagt, ich soll meine Sachen ausziehen?
»Ist gut«, sagt Mel und lacht in sich rein, als sie meinen Blick sieht. »Schau nicht so ängstlich.« Sie schnappt sich das rosa T-Shirt und den Jeansrock und wirft sie mir in den Schoß. »Mach schon«, sagt sie. »Probier’s an.«
Ich schau kurz nach unten, starr dümmlich auf die dünnen Sachen, dann guck ich zu Taylor hoch. Sie feixt, genießt meine Verlegenheit und ich weiß, es gibt überhaupt keinen Grund, verlegen zu sein … ist ja nicht so, als ob ich sie missverstanden oder falsch interpretiert hätte, als sie sagte, ich soll meine Sachen ausziehen. Ich hab keine verkehrten Schlüsse gezogen. Ich war bloß einfach verwirrt. Und Taylor weiß das und sie weiß auch, dass ich es weiß. Aber das macht mich nur noch verlegener.
»Was ist los?«, fragt sie unschuldig.
»Nichts«, antworte ich (mit so viel
Nicht
-Verlegenheit, wie ich nur schaffe).
Sie feixt wieder. »Genau.«
Um einfach was anderes zu tun, trink ich einen ziemlich großen Schluck aus meinem Glas. Er schmeckt jetzt irgendwie anders – ein bisschen weniger fruchtig vielleicht, ein bisschen mehr … keine Ahnung. Ein bisschen mehr irgendwie anders. Und ich bin versucht, was zu sagen – z. B.
Ist das das Gleiche, was ich vorher getrunken hab?
–, aber Taylor schaut noch immer auf mich herab (im wörtlichen und übertragenen Sinne) und ich will ihr nicht noch mehr Anlass zum Grinsen geben. Wahrscheinlich bin ich auch einfach nur überempfindlich, was den Geschmack von dem Getränk angeht – vielleicht sind meine Geschmacksknospen irgendwie aufgeputscht von all dem Verlegenheitsadrenalin. Deshalb sag ich nichts, sondern spül das Getränk runter und starr auf die Sachen in meinem Schoß.
Sie sind viel zu klein für mich.
Sie sehen aus wie für eine Barbiepuppe.
»Jetzt mach schon«, sagt Taylor und reckt ihr Kinn zu den Sachen hin. »Worauf wartest du?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich glaub, die passen mir nicht.«
»Doch, die passen«, sagt Mel. »Sind nur ein bisschen enger geschnitten als das, was du sonst immer trägst, das ist alles.«
Taylor lacht. »Ein
bisschen
enger geschnitten?« Sie fasst mein T-Shirt und zieht es verächtlich nach vorn. »Ich meine, ein
Zelt
ist enger geschnitten als das.«
»Es
soll
weit sitzen«, protestier ich.
»Das ist nicht weit, das ist ein
Sack
. Und das hier …« Sie schnippt mit dem Finger gegen meine ausgeblichene alte Cargohose. »Das ist die fetteste Hose, die ich je
gesehen
hab. Die säh sogar bei Biggie Smalls noch riesig aus.« Sie schüttelt den Kopf. »Scheiße, so interessiert sich doch keiner dafür, was du da drin hast.«
»Soll ja auch keiner«, erklär ich. »Ich trag sie, weil sie
mir
gefällt. Sie ist bequem –«
»Bequem?«
, ruft Taylor mit höhnischem Grinsen. »Klamotten sollen nicht
bequem
sein. Klamotten sind doch keine Sessel, verdammt noch mal.«
»Na ja …«, sag ich.
Und ich bin jetzt irgendwie sauer auf mich, weil ich so eingeschnappt klinge, als ob mir der ganze Schwachsinn wirklich was ausmacht. Was er natürlich nicht tut.
Natürlich.
»Komm schon, Dawn«, sagt Mel und lächelt mich an, während sie auf dem Bett rumrutscht und sich neben mich setzt. »Versuch’s doch wenigstens mal. Probier die Sachen an. Du siehst bestimmt super drin aus.«
Ich trink noch ein bisschen von meinem leicht merkwürdig, aber eigentlich ganz gut schmeckenden Getränk. »Ich
will
aber gar nicht super aussehen«, sag ich.
»Doch, willst du. Jeder will toll aussehen.« Sie legt mir ihre Hand aufs Knie. »Ich meine, wir wollen doch alle, dass man sich nach uns
umdreht
, oder?«
Ich starre auf ihre Hand.
Sie ist klein, kleiner, als ich mir vorgestellt hätte (wenn ich mir je die Größe ihrer Hand vorgestellt hätte, was nicht der Fall ist).
Sie hat übel abgekaute Fingernägel.
Einen schlichten Silberring am Mittelfinger.
Verblasste weiße Narben am Unterarm.
»Schau«, sagt Taylor (jetzt ein bisschen weniger höhnisch). »Wir versuchen doch nur, dir zu helfen. Ich meine, wenn du dich weiter so anziehst … verstehst du, wie so eine versiffte alte Schlampe, dann interessieren sich doch höchstens verzweifelte Kerle mit Stock und Blindenhund für dich.« Sie grinst mich an. »Willst du das?«
Ich grinse zurück und fühl mich plötzlich wieder überraschend wohl. »Ich bin mal mit einem blinden
Weitere Kostenlose Bücher