Killing time
allzu viel über den Stephanie-Preston-Fall, da das meiste vertraulich behandelt wird, aber in unseren Kreisen hört man doch das eine oder andere.«
»Chief, ich möchte nicht unhöflich sein, aber würden Sie bitte zur Sache kommen?«
Er lachte leise. »Entschuldigung, ich neige dazu, weit auszuholen. Meine Frau schimpft deshalb schon dauernd mit mir.« Er räusperte sich. »Wir haben hier einen Stalker-Fall in Verona. Jemand scheint einer von unseren netten jungen Frauen Briefe, Geschenke und ziemlich abstoßende Zeichnungen zu schicken.«
»Geschenke, Briefe und … was für Zeichnungen?«
»Sexbilder«, sagte der Chief. »Und reichlich hartes Zeug.«
Bernie lief es eiskalt über den Rücken. »Die Geschenke, was sind das für Geschenke?«
»Sie hat mir ein Fußkettchen gebracht und gesagt, dass sie die andern Sachen weggeworfen hat.«
»Erzählte sie Ihnen, was das für Sachen waren?«
»Ja, Moment mal. Ich hab mir alles aufgeschrieben.«
R. B. sah Bernie fragend an. »Ich glaube, wir haben gerade unseren ersten Durchbruch im Preston-Mordfall«, sagte sie ihrem Vater.
»Sheriff?«, meldete Roy Lee Nichols sich wieder. »Die anderen Geschenke waren eine Perlenkette, eine Flasche Parfum, ein Lippenstift und ein Nagellack.«
»Ist die junge Frau jetzt noch bei Ihnen?«, fragte Bernie.
»Nein, Ma’am. Sie und ihre Schwester kamen her und erzählten uns, was los ist. Sie kommt morgen früh wieder, um Anzeige gegen einen Mann zu erstatten, mit dem sie drüben am College arbeitet.«
»Wie ist der Name der Frau, und wer ist der Mann, mit dem sie zusammenarbeitet und den sie hinter den Geschenken vermutet?«
»Sie heißt Thomasina Hardy. Sie ist Lehrerin drüben am College. Und der Name des Mannes ist Dr. Brandon Kelley. Er ist kein richtiger Doktor, sondern nur einer mit so ’nem Uni-Titel.«
[home]
11
G ott war ihr Zeuge, sie hatte alles getan, was in ihrer Macht stand, um Brandon Kelley, die Briefe, die Geschenke und die Zeichnungen zu vergessen. Aber auf dem Weg zu ihrem Donnerstagabendkurs konnte Thomasina an nichts anderes denken. Da half es auch nicht, dass es heute Abend früh dunkel wurde, weil dunkelgraue Regenwolken aufzogen, und erst recht nicht, dass die Hälfte der Strecke von Verona zum College über einsame Landstraßen führte. Die Musik im Radio war eine wohltuende Ablenkung, schützte sie Thomasina doch davor, sich gänzlich allein und verlassen zu fühlen. Und dennoch vermochte nichts die Bilder aus ihrem Kopf zu löschen, die er ihr heute geschickt hatte, vor allem das von ihr mit der aufgeschlitzten Kehle und dem Blut, das aus den Wunden an ihren Brüsten tropfte. Was für ein krankes Hirn brachte solche Werke hervor?
Falls Brandon Kelley ihr sogenannter heimlicher Bewunderer war, dann sollte der Mann lieber in einer geschlossenen Anstalt sitzen, statt Kunstunterricht am örtlichen College zu geben.
Aber was ist, wenn es gar nicht Brandon ist? Was ist, wenn ich eine Woche lang einer Vorstellung nachhing, die nicht einmal entfernt realistisch war? Was ist, wenn die Polizei den Kerl nicht findet? Was ist, wenn er mir weiter nachstellt?
Während im Radio ein Country-Rock-Song dudelte, auf den sie gar nicht weiter achtete, erschrak Thomasina, denn vor ihr zuckte ein Blitz über den dunkelgrauen Abendhimmel. Sie erschauderte und wurde entsetzlich nervös. Zum Glück hatte sie auf Amanda gehört und war zur Polizei gegangen. Und hätte sie ihrer idiotischen, romantischen Ader nicht erlaubt, ein Luftschloss zu bauen, als sie die erste Nachricht bekam, wäre sie heute nicht in dieser Situation. Aber es war sinnlos, sich über begangene Fehler zu ärgern und zu bereuen, was sie getan und was sie nicht getan hatte. Ihren ersten Kurs morgen früh hatte sie schon abgesagt, damit sie gleich morgens zur Polizei in Verona gehen und offiziell Anzeige erstatten konnte. Chief Nichols hatte ihr geraten, möglichst immer jemanden bei sich zu haben, solange man nicht wusste, wer ihr Stalker war. Sollte es Brandon sein, dann genügte womöglich schon ein Besuch von einem Polizisten, damit er aufhörte.
Und wenn es nicht Brandon ist?
Ein lauter Rums erschütterte ihren Wagen. Thomasina schrie auf und umklammerte panisch das Lenkrad. Ihre Nerven lagen so blank, dass sie schon die geringste Kleinigkeit aus der Fassung brachte.
Wovor hatte sie überhaupt Angst? Sie saß in ihrem Wagen, die Türen waren verriegelt, und sie fuhr eine bekannte Strecke auf einer sicheren Straße. Außerdem hatte sie
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