Kim Novak badete nie im See von Genezareth
hinunterbekam.
»Hallo«, sagte ich. »Ich will nur schnell meine Morgentoilette machen. Bin gleich zurück.«
Irgendwie bewegte sie ihr Gesicht. Vielleicht versuchte sie ja zu lächeln.
Ich pinkelte, tauchte einmal ins Wasser und kam zurück. Edmund schlief immer noch. Von Henry war nichts zu sehen. Ich holte mir den anderen Liegestuhl und stellte ihn neben Ewas. Etwas schräg, aber ziemlich nah dran.
»Tut das weh?«, fragte ich.
Sie schüttelte vorsichtig den Kopf. »Nicht sehr.«
Ich schluckte und versuchte, sie nicht anzugucken. »Das geht vorbei«, stellte ich fest. »Du wirst in ein paar Tagen wieder die Schönste auf der ganzen Welt sein.«
Wieder versuchte sie zu lächeln. Aber auch diesmal hatte sie nicht viel Erfolg dabei. Offensichtlich taten ihr die Lippen dabei weh, denn sie zuckte zusammen und legte eine Hand auf den Mund.
»Ich sehe schrecklich aus«, sagte sie. »Sei so lieb und guck mich nicht an.«
Ich drehte den Kopf weg und betrachtete stattdessen den Baumstamm. Er war grau, etwas verschorft und nicht besonders interessant.
»Wo ist Henry?«, fragte ich.
»In die Stadt gefahren, er will Pflaster kaufen. Er ist bald wieder zurück.«
»Aha.«
Eine Weile schwiegen wir beide. »Es ist unglaublich«, sagte ich dann. »Dass dir jemand so etwas antun kann, unglaublich.«
Sie antwortete nicht. Richtete sich nur in ihrem Stuhl auf und räusperte sich ein paar Mal. Mir fiel ein, dass sie ja vielleicht auch Blut in den Hals bekommen hatte. Die Opfer in einigen Büchern, die ich gelesen hatte, hatten das, und Ewas Räuspern klang fast so.
»Soll ich dir was holen?«, fragte ich. »Was zu trinken oder
so?«
Sie zwinkerte ein paar Mal mit dem gesunden Auge.
»Nein, danke«, sagte sie. »Du bist lieb, Erik.«
»Ach was«, wehrte ich ab.
Sie räusperte sich wieder, und dann wischte sie sich mit dem Ärmel des Morgenmantels die Stirn ab.
»Man muss lernen, was einzustecken«, sagte sie. »Das muß man.«
»Wirklich?«, zweifelte ich.
»Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen. Ich habe schon Schlimmeres erlebt.«
»Schlimmeres?«, fragte ich nach.
»Als ich in deinem Alter war«, fuhr sie fort. »Und sogar noch jünger. Da sind wir aus einem anderen Land gekommen, das du vielleicht sogar kennst. Nur meine Schwester und ich, unsere Eltern sind dort geblieben. Wir sind in einem Boot übers Meer gefahren, in einem Boot, das nicht viel größer war als euer Kahn. Ich weiß gar nicht, warum ich dir das alles erzähle.«
»Ich auch nicht«, musste ich zugeben.
»Vielleicht weil Henry mir von eurer Mutter erzählt hat«, sagte sie nach einer kleinen Pause. »Ich weiß, dass du es nicht leicht hast, Erik. Ich hatte vorher keine Ahnung davon, aber jetzt weiß ich es.«
Ich nickte und schaute auf das Rindenmuster. Es hatte sich nicht verändert.
»Du willst lieber nicht drüber reden?«
Ich gab keine Antwort. Ewa betrachtete mich eine Weile mit ihrem gesunden Auge. Dann beugte sie sich auf ihrem Stuhl nach vorne und klopfte mit einer Handfläche auf das Gras vor sich.
»Setz dich mal hier hin, bitte.«
Ich zögerte zunächst, tat dann aber wie geheißen. Schälte
mich aus meinem Stuhl heraus und setzte mich auf den Boden zwischen ihre Knie. Lehnte vorsichtig meinen Nacken gegen die Querlatte des Liegestuhls. Spürte ihre Schenkel auf beiden Seiten.
»Mach die Augen zu«, sagte sie.
Ich schloss die Augen. Sie ergriff mit den Händen meine Schultern und begann sie mit behutsamen, langsamen Bewegungen zu massieren.
Langsam und behutsam. Dabei gleichzeitig kräftig und warm. Einen Moment lang wurde mir schwindlig, und ich dachte, dass dieser Sommer so voller neuer Entdeckungen und Erlebnisse war, dass bereits hundert Jahre vergangen sein mussten, seit wir die Abschlussprüfung in der Stavaschule abgelegt hatten.
»Du bist steif in den Schultern. Versuche dich mal zu entspannen.«
Ich entspannte mich, dass ich nur noch Wachs in ihren Händen war. Natürlich bekam ich auch eine Erektion, aber ich achtete darauf, dass sie in meinen weiten Badeshorts nicht zu sehen war. Dann gab ich mich dem reinen Genuss hin. Ich saß zwischen Ewas Beinen und genoss ihre Hände. Ich spürte, dass ich wieder kurz vorm Weinen war, aber diesmal kamen keine Tränen. Nur ein schönes, leicht vibrierendes Gefühl ganz im Inneren des Kopfs, hinter den Augenhöhlen. Und für eine aufblitzende Sekunde lang begriff ich, wie es wohl sein mochte, Henry zu sein.
Henry, mein Bruder.
***
Schließlich wachte auch
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