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Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

Titel: Kim Novak badete nie im See von Genezareth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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mit Moppe Nilsson in der Fleischabteilung geführt hatte.
    »Spuren!«, donnerte er mit seiner durchdringenden Militärstimme. »Es muss doch Spuren geben! Anhaltspunkte, verflucht noch mal! Die nur drauf warten, analysiert zu werden! Wir leben im Zeitalter der Wissenschaft, vergiss das nicht!«
    »Da bin ich ganz anderer Ansicht«, widersprach Moppe gemächlich, während er mit seinen Wurstfingern zwischen den
    Würsten herumfummelte. »Ich denke, der Täter kann Gott für den Regen danken.«
    »Den Regen?«, wiederholte Casselmiolke. »Gott?«
    Als hätte er nie von derartigen Erscheinungen gehört.
    »Der Regen kam zwischen vier und fünf Uhr morgens«, erklärte Moppe. »Der hat jegliche Anhaltspunkte weggespült. Stand im Aftonbladet vom Samstag.«
    »Aftonbladet?«, sagte Casselmiolke. »Das habe ich nie in die Hände gekriegt. Habt ihr noch ein Exemplar?«
    »Tut mir Leid«, rief Britt Laxman quer durchs Geschäft. »Die sind uns vor einer halben Stunde ausgegangen.«
    Dann wandte sie sich wieder uns zu, mit einem neuen Lächeln und aufgerissenen Augen. »Was möchtet ihr?«, fragte sie. »Wie geht es euch?«
    Wir spulten unsere Liste so schnell wir konnten herunter, aber als wir fertig waren, wollte sie uns immer noch nicht gehen lassen.
    »Was meint ihr?«, flüsterte sie - damit es zumindest nicht alle Ohren im Geschäft mitbekamen. »Wer hat das wohl getan?«
    Edmund warf mir einen Blick zu.
    »Ein Wahnsinniger«, sagte er schließlich. »Irgendein Verrückter, der aus dem Irrenhaus entflohen ist. Das ist doch
    wohl klar wie Kloßbrühe, oder?«
     
    ***
     
    Auf dieser Schiene fuhren wir auch später weiter. Auf der Wahnsinnigenspur. Wenn die Leute uns fragten, was wir meinten - das kam immer mal wieder vor, die Götter sind unsere Zeugen, schließlich hatten wir die Leiche gesehen, wir wohnten ja gleich daneben, bestimmt hatten wir nachts was gehört, und so weiter -, ja, da vertraten wir immer die Ein- Verrückter-Theorie. Ein Wahnsinniger. Ein entflohener Geisteskranker. Dass es ein absolut geisteskranker Mensch gewesen sein musste, der den Mord an Bertil »Berra« Albertsson begangen hatte. Natürlich. Alles andere war doch undenkbar.
    Auch hier wussten wir sofort - bereits als wir wieder auf der Treppe vor Laxmans Laden standen und ohne dass wir die Sache hätten diskutieren müssen -, dass das genau die richtige Antwort auf alle Fragen war.
    Ein Wahnsinniger.
    Wer denn sonst?
    In den folgenden Nächten träumte ich wieder von Ewa Kaludis. Manchmal hatte sie ein blaues Auge, manchmal nicht. Ich hatte das Gefühl, dass auch Edmund in seinem Bett lag und von ihr träumte, und als ich ihn schließlich direkt danach fragte, gab er es ohne Umschweife zu.
    »Na klar«, sagte er. »Sie hat sich irgendwie in mir festgebissen. Britt Laxman erscheint daneben fast etwas abgenutzt.«
    »Britt Laxman?«, fragte ich. »Du willst doch damit nicht sagen, dass du normalerweise von ihr träumst?«
    »Nun ja«, sagte Edmund. »Nicht direkt träumen, es war eher so eine Art Fantasie.«
    Schon bald waren wir in eine Diskussion darüber verwickelt, inwieweit es für zwei Menschen möglich sein kann, den gleichen Traum zu träumen. Ob es tatsächlich sein könnte, dass Edmund und ich in unseren Betten lagen und genau die gleichen Bilder von Ewa Kaludis vor uns sahen. Als säßen wir in einem Kinosaal und glotzten den gleichen Film an.
    Ich war der Meinung, dass es eigentlich nichts gab, was direkt dagegen sprach. Dass es sich um eine Art Rationierung in der Traumfabrik handeln konnte und dass es ganz einfach nicht genügend Träume gab, die für alle Menschen jede Nacht gereicht hätten.
    Aber Edmund war nicht meiner Meinung.
    »So geizig kann es in der Traumwelt nicht zugehen«, behauptete er. »Das ist nur in unserer Scheißwelt so, dass man knausern und geizen muss. Warum sollte man denn nicht einen Traum für sich allein haben?«
    Ein eigener Traum für jeden Menschen?
    Ich hoffte, Edmund möge Recht haben. Es klang gerecht und demokratisch - wie Brylle immer sagte, wenn wir ihn in Gemeinschaftskunde hatten -, aber wie es um die Albträume bestellt war, darüber diskutierten wir nie.
     
    ***
     
    Nach dem Mord hielt sich Henry, mein Bruder, etwas häufiger in Genezareth auf als vorher, aber er war kaum gesprächiger. Er schrieb auch nicht viel. Meistens lag er auf seinem Bett und las das, was er bereits geschrieben hatte, glaube ich. Machte ab und zu mit dem Killer kürzere Touren, und ein paar Mal nahm er das Boot

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