Kim Schneyder
Aber sie waren da!«, behaupte ich wütend.
»Wahrscheinlich ein paar Betrunkene, die sich im Boot geirrt haben«, versucht er den Vorfall herunterzuspielen. »Du sagst ja selbst, dass sie gleich wieder weg waren.«
»Die waren aber nicht gleich wieder weg, sondern erst, nachdem sie eine ganze Weile herumgekramt haben!«
»Auf dem hinteren Deck gibt es nicht viel herumzukramen, da sind doch bloß Sitzmöbel und die Staufächer für das Bordwerkzeug«, sagt Bodo. Dann, nach einer Pause, lenkt er versöhnlich ein: »Jetzt komm schon, Heidi, lass uns deswegen nicht streiten! Genießen wir doch lieber die Fahrt.«
Was allerdings auch nicht übel ist.
Heute früh gleich nach dem Aufwachen hatte Bodo spontan die Idee gehabt, einen kleinen Ausflug zu machen, nur wir zwei, und ich habe natürlich sofort eingewilligt. Ich habe mich schnell im Hotel frisch gemacht und alles Nötige eingepackt, in der kleinen Patisserie gefrühstückt, dann bin ich satt und gut gelaunt wieder auf die Scene it zurückgekehrt.
Dann sind wir auf unsere Reise gegangen. Aus dem Hafen hinaus hat Bodo gesteuert – die Scene it mit ihren zwanzig Metern ist schließlich nichts für Anfänger –, aber dann hat er das Steuer mir überlassen! Und ich genieße das wie nur was.
Es ist ein unglaubliches Gefühl, mit leichtem Druck auf ein paar unscheinbare Hebelchen dieses Riesending zu steuern. Und es ist so einfach! Sogar noch einfacher als Jetski fahren, und dazu wesentlicher komfortabler. Ich sitze in einem bequemen Ledersessel mit breiten Armlehnen und dirigiere das schwere Boot mit leichten Bewegungen am griffigen Lenkrad, und die Scene it folgt lammfromm jedem meiner Kommandos.
»Siehst du, es ist gar nicht schwer«, lächelt Bodo ein wenig gönnerhaft. Er sitzt in dem zweiten Sessel neben mir und beobachtet aufmerksam die Wasseroberfläche vor uns.
»Wie schnell fährt so eine Jacht überhaupt?«, frage ich nebenbei.
»Kommt darauf an«, meint er. »Auf die Rumpfkonstruktion und die Motorisierung. Die Scene it ist übrigens ziemlich schnell, die macht an die fünfzig Knoten.«
Knoten?
Wieder so ein Begriff, mit dem ein Normalbürger nichts anzufangen weiß. Diese Seefahrer sind echt ein komisches Volk, die haben für alles Bezeichnungen, die sonst kein Mensch verwendet. Die sagen Steuerbord und Backbord statt rechts und links, hinten heißt achtern und statt Seile sagen sie Leinen, woran ich ja eher einen Hund hängen würde als eine Jacht. Und als Bodo mich vorhin ans Steuer ließ, fragte er: »Willst du mal ans Ruder?«, woraufhin ich meinte: »Wieso, ist der Sprit alle?« Er hat dann bloß gelacht und seinen Platz am Steuerrad geräumt, woraufhin ich beschämt kapierte, worum es ging.
Und jetzt: Was haben Knoten denn bitteschön mit Geschwindigkeit zu tun?
»Wie schnell ist das in Stundenkilometern?«, frage ich.
»Das musst du mal eins Komma acht rechnen«, erklärt er.
Ach so. Mal sehen, fünfzig mal eins Komma acht, das sind dann … fünf mal acht, plus die fünfzig …
»Neunzig Stundenkilometer«, verkürzt er meine Rechenarbeit.
»Neunzig?« Ich nicke beeindruckt. »Nicht schlecht, obwohl, im Vergleich zu einem Auto …«
»Das kannst du gar nicht vergleichen, auf dem Wasser kommt dir das dreimal so schnell vor«, unterbricht er mich.
»So, meinst du? Wie schnell fahren wir denn jetzt?«
Er beugt sich zu mir herüber und linst auf die Bordinstrumente.
»Nicht mal zwanzig Knoten.«
»Was, nicht mal zwanzig?«
»Drück ruhig ein bisschen drauf«, fordert Bodo mich auf.
Ich schiebe den Gashebel weiter nach vorn, und die Scene it reagiert augenblicklich, indem sie sich majestätisch aus dem Wasser hebt und an Geschwindigkeit zulegt.
»Wahnsinn!«, rufe ich begeistert aus, »Du hast recht, das kommt einem wirklich irre schnell vor.«
Bodo lacht. »Sag ich doch. Und jetzt gib mal Vollgas!«
»Vollgas? Kann da auch nichts passieren?« Ich habe meinen Crash mit dem Jetski noch nicht ganz verdaut, und bei dem Wort Vollgas stellen sich mir augenblicklich die Nackenhaare auf.
»Keine Bange, sie ist dafür gebaut. Solange du geradeaus fährst, kann überhaupt nichts passieren«, zerstreut er meine Bedenken.
Also fasse ich mir ein Herz und schiebe den Gashebel bis zum Anschlag vor, und jetzt zeigt die Scene it , was wirklich in ihr steckt. Die Motoren brüllen auf, gleichzeitig wird der Bug regelrecht aus dem Wasser gerissen, und der Koloss schießt mit rasender Geschwindigkeit über die Wasseroberfläche. Für einen
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