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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Brodsky war die Frage nicht, ob ausländische Diplomaten ihn aufsuchten, weil er Tierarzt war, sondern ob der Verdächtige Tierarzt geworden war, damit ausländische Diplomaten sich offen mit ihm treffen konnten. Warum eröffnete er seine Praxis wenige hundert Meter von der amerikanischen Botschaft entfernt? Und warum schafften sich, kurz nachdem er die Praxis aufgemacht hatte, mehrere Angehörige der amerikanischen Botschaft Haustiere an? Und wie kam es schließlich, dass Haustieren von ausländischen Diplomaten offenbar öfter etwas fehlte als dem Haustier eines Durchschnittsbürgers? Kuzmin hatte freimütig eingestanden, dass die Sache einer gewissen Komik nicht entbehrte, aber genau das entwaffnend Komische daran hatte ihn stutzig werden lassen.
    Die Harmlosigkeit des Ganzen wirkte wie eine perfekte Tarnung. Als ob sich jemand über den MGB lustig machen wollte. Und es gab kaum ein ernsteres Verbrechen als das.
    Nachdem er über den Fall nachgedacht und die Überlegungen seines Mentors zur Kenntnis genommen hatte, traf Leo die Entscheidung, den Mann nicht auf offener Straße zu verhaften, sondern ihn zu beschatten.
    Denn wenn dieser Bürger als Spion operierte, war das eine Gelegenheit herauszufinden, mit wem er zusammengearbeitet hatte, und alle auf einen Streich festzunehmen. Und obwohl er es nicht zugab, fühlte er sich unwohl bei dem Gedanken, den Mann ohne weitere Beweise zu kassieren. Natürlich hatte er solche Zweifel schon sein ganzes Berufsleben über ausgehalten. Bei vielen seiner Verhafteten war Leo lediglich Name, Adresse sowie die Tatsache bekannt gewesen, dass dem Betreffenden irgendwo irgendjemand misstraute.
    Aber jetzt war er kein Lakai mehr, der nur die Befehle anderer ausführte, und so beschloss er, seine Autorität zu nutzen, um ein paar Dinge anders zu halten.
    Schließlich war er ein Ermittler, also wollte er auch ermitteln. Nie zweifelte er daran, dass er Anatoli Brodsky letztendlich festnehmen würde, aber vorher wollte er einfach Beweise, irgendein Anzeichen von Schuld, das nicht auf bloßen Mutmaßungen gründete. Mit anderen Worten, er wollte ein reines Gewissen haben, wenn er ihn sich schnappte.
    Leo hatte bei der Überwachungsaktion die Tagesschicht übernommen und den Verdächtigen von morgens acht bis abends acht beschattet. Drei Tage lang war ihm nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Der Verdächtige arbeitete, kehrte zum Mittagessen ein und ging nach Hause. Kurz, er schien ein braver Bürger zu sein. Vielleicht war es dieser Anschein der Harmlosigkeit gewesen, von dem Leo sich hatte einlullen lassen.
    Als Kuzmin ihn heute Morgen zornig beiseite gezogen, ihn über die Vorgänge um Fjodor Andrejew unterrichtet und ihm befohlen hatte, die Sache sofort in Ordnung zu bringen, hatte er nicht protestiert. Anstatt dem Generalmajor klarzumachen, dass es ja wohl erheblich Wichtigeres gab, hatte er klein beigegeben. Wie lächerlich das alles im Rückblick wirkte. Wie deprimierend, dass er mit Angehörigen parliert und Kinder gehätschelt hatte, während der Verdächtige, dieser Verräter, flüchtete und Leo dastehen ließ wie einen Schwachkopf. Der mit der Beobachtung betraute Agent hatte sich idiotischerweise nichts bei der Tatsache gedacht, dass die Tierarztpraxis den ganzen Tag lang keinen einzigen Patienten gehabt hatte. Erst bei Einbruch der Dämmerung hatte er Verdacht geschöpft und mit der Absicht, sich als Kunde auszugeben, die Praxis betreten. Das Büro war leer gewesen. Ein rückwärtiges Fenster war aufgestemmt worden. Der Verdächtige konnte jederzeit geflohen sein, vermutlich aber schon morgens, kurz nach seiner Ankunft.
    Brodsky ist weg. Als Leo diese Worte gehört hatte, war ihm schlecht geworden. Sofort hatte er mit Generalmajor Kuzmin in dessen Wohnung eine Krisensitzung abgehalten. Jetzt hatte Leo zwar den ersehnten Beweis, aber keinen Verdächtigen mehr. Zu seiner Überraschung hatte sein Mentor eher einen erfreuten Eindruck gemacht. Das Verhalten des Verräters bestätigte seine Theorie: Ihr Geschäft bestand aus Misstrauen. Wenn eine Anschuldigung auch nur ein Prozent Wahrheit enthielt, war es besser, die gesamte Anschuldigung für wahr zu halten, als sie fallenzulassen. Leo erhielt den Auftrag, den Verräter um jeden Preis zu fassen. Er sollte nicht ruhen noch rasten, nichts anderes tun, bis dieser Mann in ihrem Gewahrsam war, wo er, wie Kuzmin selbstgefällig hinzugefügt hatte, schon seit drei Tagen hätte sein sollen.
    Leo rieb sich die Augen. Er fühlte einen Knoten

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