Kind 44
er getan hat, verstehst du? Für solche Übertretungen haben wir ein Strafsystem. Man hätte die Leute hierher bringen sollen. Und Wassili ist auch angemessen gemaßregelt worden.
Was nun diese Drogen betrifft .. .«
»Ich hatte 24 Stunden nicht geschlafen. Und sie sind mir von unseren eigenen Ärzten gegeben worden.«
«... die interessieren mich nicht im Geringsten. Ich habe dir befohlen, alles zu unternehmen, was nötig ist.
Aber ich möchte dir eine Warnung zukommen lassen.
Wenn man einen anderen Offizier schlägt, merken sich die Leute das. Dass deine Gründe berechtigt waren, ist schnell vergessen. In dem Moment, wo Wassili seine Waffe senkte, hätte Schluss sein müssen. Wenn du ihn darüber hinaus bestrafen wolltest, hättest du mir seine Insubordination melden müssen. Du hast die Gerechtigkeit in die eigenen Hände genommen. Das ist nicht akzeptabel. So etwas ist niemals akzeptabel.«
»Ich entschuldige mich.«
Kuzmin trat vom Fenster weg. Als er neben Leo stand, legte er ihm die Hand auf die Schulter. »Genug davon.
Betrachte die Sache als erledigt. Ich habe eine neue Bewährungsprobe für dich. Brodskys Verhör. Ich will, dass du dich persönlich darum kümmerst. Du kannst dir jeden zur Hilfe holen, den du willst – einen Verhörspezialisten. Aber ich will, dass du dabei bist, wenn er zusammenbricht. Es ist wichtig, dass du diesen Mann als das siehst, was er wirklich ist. Insbesondere, weil du dich von seiner vermeintlichen Unschuld hast an der Nase herumführen lassen.«
Das war ein ungewöhnliches Ersuchen. Kuzmin bemerkte Leos Erstaunen. »Es wird gut für dich sein. Es wird dich als Offizier voranbringen. Ein Mann sollte danach beurteilt werden, was er bereit ist, selbst auf sich zu nehmen, nicht danach, was er bereit ist, andere für sich erledigen zu lassen. Irgendwelche Einwände?«
»Keine.« Leo stand auf und strich sich die Jacke glatt.
»Ich fange sofort an.«
»Eins noch: Ich will, dass du mit Wassili bei dieser Sache zusammenarbeitest.«
***
Es gab drei Arten von Zellen. Da waren zunächst die für Untersuchungshäftlinge: quadratische Räume, ein strohbedeckter Boden und so viel Platz, dass drei Mann nebeneinander liegen konnten. Tatsächlich lagen in jeder Zelle immer fünf Mann so dicht zusammengedrängt, dass man sich nicht einmal kratzen konnte, ohne dass ein anderer sich auch bewegte. Ein menschliches Puzzlespiel. Da es außerdem keine Latrine gab, brauchte auch der Eimer noch Platz, den die fünf in Anwesenheit der anderen benutzen mussten. Wenn er randvoll war, mussten die Gefangenen ihn zum nächsten Sickerrohr tragen, und man drohte ihnen, sie zu erschießen, wenn sie auch nur einen einzigen Tropfen verschütteten. Leo hatte schon gehört, wie die Wachen sich über die komisch konzentrierten Gesichter amüsierten, die die Gefangenen machten, wenn sie in die hin- und herschwappende Brühe aus Kot und Urin starrten, deren Höhe darüber entschied, ob sie am Leben blieben oder starben. Das war natürlich barbarisch, aber es diente doch alles dem Wohle des Ganzen.
Das Wohl des Ganzen das Wohl des Ganzen das Wohl des Ganzen. Es war wichtig, dass man sich das immer wieder vergegenwärtigte, es sich regelrecht einbläute, damit es wie Telexstreifen im Geiste immer mitlief.
Nach den Zellen für die Untersuchungshäftlinge kamen die Strafzellen. Fußgelenktief stand hier das eiskalte Wasser, und die Wände starrten vor Schimmel und Dreck. Fünf Tage reichten üblicherweise aus, um sicherzustellen, dass der Körper sich nie mehr erholte und die Lunge des Gefangenen auf immer vom Stigma der Krankheit gezeichnet war. Es gab schmale Kästen, die aussahen wie Holzsärge und in denen sich Wanzen ungehindert vermehren konnten und sollten. Darin blieb der Gefangene und wurde bei lebendigem Leibe aufgefressen, bis er bereit war, ein Geständnis zu unterschreiben. Es gab Räume, die mit Kork verkleidet waren und in denen der Gefangene großer Hitze ausgesetzt, vom Ventilationssystem des Gebäudes regelrecht gekocht wurde, bis ihm Blut aus den Poren drang und er bereit war, ein Geständnis zu unterschreiben. Es gab Räume mit Haken und Ketten und Elektrokabeln.
Es gab alle möglichen Strafen für alle möglichen Leute.
Wenn es darum ging, das Blut anderer Menschen zu vergießen, waren dem Einfallsreichtum praktisch keine Grenzen gesetzt. Aber all diese Schrecken erschienen gering, wenn man sie mit dem großen, erhabenen Wohl des Ganzen verglich.
Das Wohl des Ganzen das Wohl des
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