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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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zurückzukehren. Zarubin spitzte die Lippen und blies ins Glas. Der Tee war warm und süß.
    Er hatte keine Eile. Er machte sie nervös. Es gefiel ihm, sie warten zu lassen.
    Im fensterlosen Schlafzimmer war es heiß und stickig.
    Schon allein am Geruch erkannte Zarubin, dass der Mann im Bett krank war. Zu seiner eigenen Überraschung war er darüber ein wenig enttäuscht. Während er sich neben Leo aufs Bett setzte, dachte er darüber nach, woher das kam. Er maß Leos Temperatur. Der hatte zwar Fieber, aber kein bedenklich hohes. Dann hörte er ihn ab. Nichts Ungewöhnliches, Tuberkulose hatte er also nicht. Es gab keinerlei Anzeichen, dass er an etwas Schlimmerem litt als an einer Erkältung.
    Raisa stand neben ihm und beobachtete ihn, ihre Hände rochen nach Seife. Er genoss es, ihr so nah zu sein. Aus seiner Tasche nahm er ein braunes Fläschchen und maß einen Löffel dicker grüner Flüssigkeit ab.
    »Heben Sie ihm bitte den Kopf hoch.«
    Raisa half ihrem Mann in eine sitzende Haltung. Zarubin goss ihm die Flüssigkeit in den Hals. Als Leo geschluckt hatte, bettete sie seinen Kopf wieder auf das Kissen. »Wofür war das?«
    »Das ist ein Stärkungsmittel. Damit er besser schlafen kann.«
    »Dafür braucht er nichts.«
    Der Doktor gab keine Antwort. Er hatte keine Lust, sich eine Lüge auszudenken. Tatsächlich war die Droge, die er Leo als vermeintliche Medizin verabreicht hatte, seine eigene Kreation. Eine Mischung aus Barbituraten, Halluzinogenen und, um den Geschmack zu überdekken, Sirup. Das Mittel sollte Körper und Geist gleichermaßen beeinträchtigen. Es wurde oral verabreicht und wirkte bereits nach kaum einer Stunde. Die Muskeln waren zuerst betroffen, sie erschlafften so sehr, dass selbst die kleinste Bewegung einem vorkam wie die größte körperliche Anstrengung. Kurz darauf begann das Halluzinogen zu wirken.
    In Zarubin hatte sich eine Idee festgesetzt. Der Gedanke war ihm in der Küche gekommen, als Raisa rot geworden war, und hatte sich zu einem Plan verfestigt, als er die Seife an ihren Händen gerochen hatte. Wenn er Bericht erstattete, dass Leo nichts fehlte, dass seine Krankmeldung nur vorgeschoben war, dann würde er mit annähernder Sicherheit verhaftet und verhört werden. Bei all den anderen Zweifeln, die sein Verhalten bereits ausgelöst hatte, würde ein schwerer Verdacht auf ihm lasten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würde er verhaftet werden. Seine Frau, diese wunderschöne Frau, würde allein und verletzlich dastehen. Sie würde einen Verbündeten brauchen. Zarubins Status im Staatssicherheitsdienst war dem von Leo mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen, und er war zuversichtlich, eine sehr akzeptable, angenehme Alternative anbieten zu können. Zarubin war zwar verheiratet, aber er konnte sie sich ja als Geliebte halten. Er hatte keine Zweifel, dass Raisas Überlebensinstinkt hoch entwickelt war. Andererseits, wenn man es richtig bedachte, gab es vielleicht sogar noch einen unkomplizierteren Weg, das zu bekommen, was er wollte. Zarubin stand auf. »Können wir unter vier Augen reden?«
    In der Küche kreuzte Raisa die Arme vor der Brust. Sie runzelte die Stirn, ein Fältchen zeigte sich auf ihrer ansonsten perfekten Haut. Zarubin hätte am liebsten seine Zunge darüber gleiten lassen.
    »Wird mein Mann wieder gesund?«
    »Er hat Fieber. Und ich wäre auch bereit, das zu sagen.«
    »Was zu sagen?«
    »Na ja, dass er wirklich krank ist.«
    »Aber er ist doch auch wirklich krank. Das haben Sie doch eben selbst gesagt.«
    »Ist Ihnen eigentlich klar, warum ich hier bin?«
    »Sie sind hier, weil Sie Arzt sind und mein Mann krank ist.«
    »Ich bin hier, weil ich Arzt bin. So weit, so gut. Aber ich bin geschickt worden, um herauszufinden, ob Ihr Mann wirklich krank ist oder nur versucht, sich zu drücken.«
    »Aber es ist doch offensichtlich, dass er krank ist. Ob Arzt oder nicht, jeder könnte das sehen.«
    »Ja, aber ich bin derjenige, der hier ist. Ich bin es, der entscheidet. Und sie werden glauben, was ich sage.«
    »Herr Doktor, Sie haben doch gerade gesagt, dass er krank ist. Dass er Fieber hat.«
    »Und ich wäre bereit, das zu berichten. Unter der Voraussetzung, dass du mit mir schläfst.«
    Erstaunlicherweise zuckte sie mit keiner Wimper.
    Zeigte nach außen hin nicht die geringste Regung. Ihre Abgebrühtheit steigerte Zarubins Verlangen nur noch.
    Er fuhr fort: »Es wäre eine einmalige Sache, es sei denn, du findest Gefallen an mir, dann könnten

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