Kind der Hölle
auf die andere war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen, und er hatte genau gewußt, welches der richtige Weg war.
Wie war das möglich?
Hatte er sich bei seinen nächtlichen Ausflug mit Scout unbewußt irgendwelche Anhaltspunkte gemerkt? Das war höchst unwahrscheinlich; denn im schwachen Mondlicht hatte er kaum etwas erkennen können und war seinem Hund blindlings gefolgt.
Trotzdem hatte er selbstsicher verkündet: »Da geht’s lang!«
»Ach ja?« Luke hatte seine ständig rutschenden Jeans hochgezogen. »Der Weg sieht doch genauso aus wie der andere …« Er hatte seinen Satz nicht beendet, weil Jared ihn wieder mit blitzenden Augen einschüchterte, und es hatte lange gedauert, bis er sich zu fragen traute, wie weit es noch bis zu der Hütte war.
Wir sind fast am Ziel.
Ganz dicht am Ziel.
Auch jetzt hätte Jared nicht begründen können, woher er das wußte, denn das einzige, was er bisher durch das Dickicht erspäht hatte, war Wasser, das in der Sonne schillerte.
Ein See! Stand die Hütte, die er heute nacht gesehen hatte, am Ufer eines Sees? Er hatte nicht darauf geachtet. »Es sind nur noch ein paar Schritte«, behauptete er im Brustton der Überzeugung. »Die Hütte muß gleich da vorne sein.«
Luke hob ungläubig die Brauen. »Ich weiß nicht so recht… Vielleicht sollten wir doch lieber umkehren und irgendwo in der Stadt eine Coke trinken.«
Doch Jared eilte schon wieder den Pfad entlang. Eine leichte Brise war aufgekommen, und er schnupperte aufgeregt. »Riechst du auch etwas?«
Luke schüttelte den Kopf. »Ich bin doch kein Jagdhund!«
Das war für Jared das Stichwort. Natürlich, er roch die Hunde, die er in der Nacht gehört hatte! »Komm, wir sind gleich da!«
Widerwillig schlich Luke hinter Jared her, der damit rechnete, daß die Hunde jeden Moment losbellen würden. Als alles ruhig blieb, begriff er, daß die Tiere ihn noch nicht gewittert hatten, weil der Wind in seine Richtung wehte. Das war der Grund, daß er den Hundegeruch wahrgenommen hatte.
Hinter der nächsten Biegung würde die Hütte in Sicht kommen, das wußte er, obwohl er sich nach wie vor an keinen bestimmten Baum oder Felsen erinnern konnte. Und da war sie auch schon. Sie stand inmitten einer kleinen Lichtung.
Jetzt, bei hellem Tageslicht, konnte Jared sehen, daß sie dicht am See stand. Das flache Ufer war schlammig, und zwei uralte Ruderboote, so verwittert, daß sie bestimmt leckten, waren mit ausgefransten Leinen an einem Baum vertäut.
Im Schatten der Hütte schliefen zwei Hunde.
»Das ist sie«, sagte Jared leise. »Weißt du, wer hier wohnt?«
»Jake Cumberland«, murmelte Luke Roberts.
»Und wer ist das?«
»Ach, nur ein Trapper …« Luke fühlte sich sichtlich unbehaglich. »Er hat sein ganzes Leben hier verbracht.«
Jareds Augen verengten sich zu Schlitzen. »Du hast Angst vor ihm, stimmt’s?«
Luke erbleichte, schüttelte aber den Kopf.
»Verdammt, mir kannst du nichts vormachen!« knurrte Jared.
»Na ja, es gibt … Gerüchte«, gab Luke zu. »Über seine Mutter.«
»Was für Gerüchte?«
»Sie soll so was wie eine Voodoo-Priesterin gewesen sein.« Luke mied den Blick seines Freundes. »Und sie soll für deinen Onkel gearbeitet haben, bis sie dann verschwand.«
»Verschwand?« wiederholte Jared. »Was meinst du damit? Ist sie einfach abgehauen?«
Luke zuckte die Achseln. »Das weiß niemand, jedenfalls niemand von den Leuten, die ich danach gefragt habe. Aber meine Mutter sagt, zuletzt sei die Frau in der Nacht vor jenem Tag gesehen worden, an dem dein Onkel sich erhängt hat.« Er errötete. »Ma sagt, viele hätten geglaubt, daß Jakes Mutter von deinem Onkel umgebracht wurde. Angeblich sollen die beiden etwas miteinander gehabt haben, und er hat sie ermordet, damit sie nicht ausplaudern konnte.« Als Jared die Fäuste ballte und mit dem Kiefer mahlte, hob Luke abwehrend die Hände. »He, geh jetzt bitte nicht auf mich los! Ich habe nur erzählt, was ich gehört habe.«
Aber Jared beachtete ihn gar nicht mehr, sondern starrte die Hütte an. Alle Fensterscheiben hatten Sprünge – einige fehlten sogar ganz -, und der Außenanstrich war längst von den rohen Holzbrettern abgeblättert. Die morsche Veranda hatte kein Geländer, und das Wellblechdach war durch Hitze und Regen verrostet.
Unerklärlicherweise wußte Jared, daß die Hütte leer war. Er wandte seine Aufmerksamkeit den beiden Hunden zu.
Sie sprangen plötzlich auf, so als hätten sie seinen Blick gespürt, und spannten alle
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