Kind der Hölle
am Vortag aufgestellten Fallen nachgesehen und später, als das Unwetter sich austobte, die drei in die Fallen gegangenen Kaninchen gehäutet und ausgenommen.
Etwas Kaninchenfleisch hatte er sich zum Mittagessen gebraten, und danach war er mit dem Boot auf den See hinaus gerudert, nicht nur, um zu angeln, sondern auch, um in der Sonne zu dösen. Doch sogar bei hellem Tageslicht hatten ihn die Worte seiner Mama verfolgt.
Du kannst ihn spüren, wenn er in der Nähe ist.
Wen hatte sie damit gemeint? Als kleiner Junge hatte er geglaubt, es müsse sich um Mr. Conway handeln, obwohl der Boss seiner Mama ihn nie besonders beeindruckt hatte. Jedenfalls nicht bis zu jener letzten Nacht…
Jener Nacht, als seine Kindheit endete …
Jake wachte vom Rauch und vom flackernden Kerzenlicht auf, und noch bevor er etwas sehen konnte, wußte er, was seine Mama machte.
Sie wollte ihre Magie ausüben.
So nannte sie das, was sie tat. »Aber versuch ja nicht, es mir nachzumachen«, hatte sie ihn gewarnt, als er zum erstenmal mitten in der Nacht aufgewacht war und sie an dem kleinen Tisch in der Ecke ihrer Hütte beobachtete hatte. »Kleine Jungen dürfen nichts mit solcher Magie zu tun haben.« Sie hatte ihn ins Bett zurückgeschickt, doch er hatte unter der dünnen Decke hervorgelugt, die auch im Winter sein einziger Schutz gegen die Kälte war.
In vielen Nächten hatte er ihr heimlich zugeschaut, wenn sie an dem zerkratzten Tisch saß, ein Tuch um die Haare geschlungen – jenes blaue Tuch, für das er eisern gespart hatte, um es ihr zu Weihnachten schenken zu können. Normalerweise lag er regungslos im Bett, damit sie nicht bemerkte, daß er wach war.
Diesmal stand er jedoch auf, trat neben seine Mama und starrte besorgt das Zauberbild an, das sie anfertigte.
Eine primitive Stoffpuppe.
Aber es war keine normale Puppe, sondern eine sogenannte Rachepuppe. »Mit Hilfe eines solchen Abbilds kann man der betreffenden Person alles antun, was man will«, hatte Mama ihm erklärt. Während sie jetzt die ausgestopfte Puppe zunähte, fiel Jake ein, was seine Lehrerin vor einigen Tagen in der Schule gesagt hatte.
»Die Schwester sagt, Magie sei schlecht«, äußerte er beunruhigt. »Sie sagt, daß man in die Hölle kommt, wenn man Voodoo betreibt.«
Die dunklen Augen seiner Mutter funkelten im Licht der Kerze, die den Tisch erhellte. »Die Schwester hat keine Ahnung«, erwiderte sie, von ihrer Arbeit aufschauend.
Jake betrachtete den toten Frosch, der mit weit aufgeschlitztem Bauch neben der Puppe lag. »Ich will aber nicht, daß du in die Hölle kommst!« beharrte er mit zittriger Stimme.
Sie legte ihm sanft eine Hand auf den Kopf. »Mach dir keine Sorgen, ich komme nicht in die Hölle.« Ihre Blicke schweiften zu der Puppe zurück. »Dafür könnten andere bald dort landen … So, und jetzt schlaf weiter, sonst kannst du morgen in der Schule nicht aufpassen!«
Jake schlüpfte unter die Decke, doch als seine Mama wenige Minuten später die Hütte verließ, zog er sich rasch an und folgte ihr.
Zuerst ging sie ans Seeufer und kauerte sich ins Riedgras, dem Versteck von Fröschen und Schildkröten, die Jake so gern jagte.
Das Quaken eines Frosches perfekt nachahmend, warf sie den ausgenommenen Frosch, den er auf dem Küchentisch gesehen hatte, ins trübe Wasser. Während kreisförmige Wellen die Oberfläche kräuselten, stand sie auf und murmelte etwas, so leise, daß Jake kein Wort verstehen konnte. Die Rachepuppe in einer Kleidertasche versteckt, schritt sie langsam durch die Nacht und blieb immer wieder kurz stehen, um eine Beschwörung zu flüstern, einen Zweig abzubrechen oder irgendwelche Gegenstände – eine Feder, einen Kieselstein – vom Pfad aufzuheben.
»Alles hat magische Kräfte«, hatte sie Jake eines Nachmittags erklärt, als sie beim Spazierengehen auf das Skelett einer Krähe stießen. Sie hatte alle Knochen, und sogar den Schnabel und die Füße, mitgenommen. »Jedes Lebewesen besitzt magische Kräfte, aber auch jeder tote Gegenstand. Man muß nur wissen, wie man sie nutzen kann.«
In dieser Nacht sammelte sie so viele Dinge, daß sie offenbar beabsichtigte, einen besonders mächtigen Zauber auszuüben.
Während Jake seiner Mutter durch die Dunkelheit folgte, dachte er wieder an die Worte seiner Lehrerin: »Christus ist unser Erlöser, und wir können nur durch Christus gerettet werden. Alle anderen Wege sind böse und führen in die Hölle.« Dabei hatte sie ihn eindringlich angesehen, so als wüßte sie,
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