Kind der Hölle
hängt nur irgendwo mit einem Kumpel herum.« Er nahm sie in die Arme und pustete ihr zärtlich ins Haar, so wie früher.
Wie lange hatte er das nicht mehr getan? Fünf Jahre? Zehn? Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern. Doch jetzt roch sein Atem nicht nach Alkohol, und seine Liebkosung war ihr plötzlich wieder so vertraut, als hätte er sie gestern in den Armen gehalten.
»Nur keine unnötige Panik, okay?«
Beruhigt hatte Janet die Kartoffeln fürs Abendessen geschält, die mittlerweile auf dem Herd weichkochten, und Ted spielte auf dem Küchenboden mit Molly, die vor Vergnügen krähte, wenn ihr rot-gelb-gestreifter Lieblingsball auf sie zurollte und sie ihn dann energisch wegschupste.
Scout hatte sich in der Ecke neben dem Kühlschrank zusammengerollt.
Kim war oben in ihrem Zimmer mit Hausaufgaben beschäftigt.
Wie eine normale Familie, dachte Janet. Wir machen den Eindruck einer ganz normalen Familie. Doch als die Minuten dahinkrochen, ohne daß Jared nach Hause kam, machte sie sich wider Willen doch wieder Sorgen. Reine Gewohnheit, sagte sie sich. Ich bin so daran gewöhnt, mir um Ted Sorgen zu machen, daß ich hysterisch reagiere, sobald jemand unpünktlich ist, auch wenn es sich diesmal nicht um Ted handelt.
Außerdem war sie sich alles andere als sicher, daß seine plötzliche Verwandlung anhalten würde. Schon morgen – schon heute abend – könnte alles beim alten sein. Woher wollte sie wissen, ob er nicht einen Karton Wodka irgendwo im Haus versteckt hatte? Immerhin, den ganzen Tag über hatte er keinen Schluck Alkohol getrunken, und er hatte schwer geschuftet, schweißnaß von der ungewohnten körperlichen Anstrengung. Während sie ihn heimlich beobachtete, war sie aus dem Staunen nicht herausgekommen, und er hatte sich nicht einmal nach getaner Arbeit mit einem Bier belohnt, sondern ein Glas Eistee geleert, geduscht und mit Molly gespielt.
Wie eine ganz normale Familie …
»Wenn Jared um sechs noch nicht hier ist, werden wir eben ohne ihn essen«, sagte er jetzt und zwinkerte ihr schelmisch zu. »Schließlich ist es für diese Familie ja nichts Neues, daß jemand bei Tisch fehlt.« Als sein Scherz ihr kein Lächeln entlockte, fuhr er ernst fort: »Ich verspreche dir, nach ihm zu suchen, wenn er um sieben immer noch nicht da ist, okay?« Unaufgefordert begann er den Tisch zu decken, wobei Molly ihm ständig zwischen die Beine kam. Auf einen Wutausbruch gefaßt, wollte Janet die Kleine rasch auf den Arm nehmen, doch Ted überraschte sie wieder. »Laß sie doch, Liebling! Sie will mir helfen.«
Um sechs rief er nach Kim, und sie nahmen am Küchentisch Platz, Molly in ihrem hohen Kinderstuhl.
Fünf Minuten später sprang Scout auf und knurrte laut. Alle außer Molly hörten auf zu essen und starrten den großen Hund erstaunt an. Dann hörten sie, daß die Vordertür zufiel.
»Jared?« rief Janet. »Wir sind der Küche, und das Essen steht schon auf dem Tisch!« Sie stand auf, um den Teller ihres Sohnes zu füllen, kam aber nicht an den Herd heran, weil Scout wie angewurzelt dastand und mit gesträubten Haaren die Küchentür fixierte. Der Hund reagierte nicht, als Janet ihn sanft wegschieben wollte, und er knurrte wieder warnend, als Jared auf die Schwelle trat. »Um Himmels willen, Scout, das ist doch nur…« Dann sah Janet, daß Jared nicht allein war. Hinter ihm stand der Junge, den sie am Tag der Beerdigung kurz zu Gesicht bekommen hatte, als er den Zwillingen half, eine Matratze ins Haus zu tragen. Mark? Nein, Luke. Der Junge hieß Luke. »Du hättest anrufen sollen«, tadelte sie ihren Sohn. »Wenn ich gewußt hätte, daß du einen Freund mitbringst, hätte ich eine Portion mehr gekocht.«
»Macht nichts«, erwiderte Jared. »Wir haben in der Stadt eine Pizza gegessen und wollen jetzt in meinem Zimmer ein bißchen Musik hören, okay?« Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er mit Luke in Richtung der Treppe.
Anstatt ihm wie sonst immer schwanzwedelnd nachzulaufen, blieb Scout wachsam stehen, bis die Schritte der beiden Jungen nicht mehr zu hören waren. Danach kehrte er zu seinem Platz neben dem Kühlschrank zurück, spitzte aber weiterhin die Ohren.
»Seht ihr?« rief Kim. »Ich habe euch doch gesagt, daß Jared sich komisch aufführt! Sogar Scout hat etwas gemerkt.«
»Glaubst du nicht, daß der Hund vielleicht nur auf Jareds Freund reagiert hat?« wandte ihr Vater ein.
Bevor sie antworten konnte, dröhnte Musik durchs ganze Haus – irgendein Rap-Titel, von dessen
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