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Kind der Hölle

Kind der Hölle

Titel: Kind der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Zwillingsbruder geworfen zu werden. Seit jenem ersten Tag vor fast sechs Wochen saßen die beiden Mädchen beim Mittagessen immer am selben Tisch, und fast jeden Nachmittag machten sie ihre Hausaufgaben in Sandys Zimmer. Kim hatte ihre Freundin bisher noch nicht nach Hause eingeladen, und obwohl Sandy neugierig auf das alte Haus der Conways war, hätte sie Bedenken gehabt, es zu betreten. Einige Male hatte sie Kim gefragt, ob sie keine Angst hätte, dort zu wohnen.
    »Warum sollte ich Angst haben?« antwortete Kim. »Es ist doch kein Spukschloß!« Sie stöhnte, als Sandy ziemlich skeptisch dreinschaute. »Du glaubst doch wohl nicht etwa diese Geschichten über meinen Großonkel und meine Großtante, oder?« Sandy errötete, und Kim seufzte erbittert. »Herrgott, es ist doch nur ein Haus, das lange leer gestanden hat! Nur weil Luke Roberts behauptet, daß es dort spukt, muß es noch lange nicht stimmen!«
    Die Erwähnung von Lukes Namen hatte Sandy davon abgehalten, all die alten Gerüchte zu wiederholen, die auch ihr oft zu Ohren gekommen waren und nicht völlig aus der Luft gegriffen sein konnten. Ihr war auch aufgefallen, daß Kim manchmal seltsam geistesabwesend wirkte, so als versuchte sie, allein mit irgendwelchen Problemen fertigzuwerden.
    »Kim, ist alles in Ordnung?« fragte sie auch jetzt, in der Pizzeria um die Ecke von St. Ignatius. Sie hatten sich aus der Cafeteria verdrückt, weil sie die ewigen Käsemakkaroni der Nonnen gründlich satt hatten. »Du siehst so sorgenvoll aus.«
    Kim machte sich tatsächlich Sorgen. Was würde passieren, wenn die Nonnen sie außerhalb des Schulgeländes erwischten? Noch viel mehr Sorgen machte sie sich allerdings um Jared, aber das konnte sie ihrer Freundin nicht anvertrauen, die jeden ablehnte, der Umgang mit Luke Roberts hatte. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, hätte sie Mühe, Sandy zu erklären, wie sehr sie unter der Entfremdung, die zwischen Jared und ihr entstanden war, litt, und die mit jedem Tag größer wurde, so daß sie mittlerweile das Gefühl hatte, überhaupt keinen Bruder – geschweige denn einen Zwillingsbruder – mehr zu haben.
    »Mir fehlt nichts«, beteuerte sie, und als Sandy sie weiterhin zweifelnd betrachtete, flüchtete sie sich in eine Lüge: »Ich habe gerade überlegt, unter welchem Vorwand du meine Einladung ablehnen wirst.«
    Sandy legte den Kopf schief. »Eine Einladung? Warum sollte ich eine Einladung von dir ablehnen?«
    »Weil ich dich einlade, von Freitag auf Samstag bei mir zu übernachten.« Erwartungsgemäß huschte ein Schatten über Sandys Gesicht, und Kim fügte scheinheilig hinzu: »Du hast doch keine Angst, oder?«
    »N-nein«, stammelte ihre Freundin hastig. »Es ist nur …«
    »Wir leihen uns ein paar Horrorfilme aus und tun so, als wäre schon Halloween, obwohl es erst zwei Tage später soweit ist. Wir können auch …« Sie verstummte mitten im Satz, weil Sandys Miene keinen Zweifel daran ließ, wer soeben die Pizzeria betreten hatte. Lukes Stimme bestätigte ihre Vermutung.
    »Hallo«, rief er fröhlich und setzte sich unaufgefordert neben Kim auf die Bank. Jared setzte sich zu Sandy und grinste seiner Schwester zu.
    »Was ist denn hier los? Wenn ihr schon ausrückt, hättet ihr uns wenigstens fragen können, ob wir nicht mitkommen wollen!«
    Sandy bedachte Luke mit einem eisigen Blick, und Kim stellte erschrocken fest, daß sie ihren eigenen Bruder kaum weniger feindselig anstarrte. Sie musterte ihn aufmerksam: Seine Gesichtszüge hatten sich nicht verändert, er sah genauso aus wie früher. Was ihr fehlte, war das Zwillingsphänomen – jener übersinnliche Kontakt zu ihrem Bruder, der ihr stets das beruhigende Gefühl vermittelt hatte, selbst in den schlimmsten Situationen nicht allein zu sein.
    Dieser magische Kontakt war nicht mehr vorhanden.
    Sie konnte Jared nicht mehr fühlen, und das war schlimm. Kim vermutete, daß es vielleicht einfach daran lag, daß sie beide erwachsen wurden. Vielleicht war es ja ganz normal, daß das Gefühl der Verbundenheit langsam schwächer wurde … Vielleicht mußte sie sich einfach damit abfinden …
    Etwas berührte ihr Bein!
    Jäh aus ihren Überlegungen gerissen, spürte sie, daß Luke seinen Schenkel an ihren preßte. »Könntest du vielleicht ein Stück wegrücken?« fauchte sie ihn wütend an.
    Vorwurfsvoll die Augen verdrehend, gehorchte er.
    »Und laß deine Hände gefälligst auf dem Tisch!« fügte Kim hinzu.
    »Nun hab’ dich doch nicht so!« knurrte Luke beleidigt.

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