Kind der Prophezeiung
Erschöpfung weinen können. »Wie sollen wir hier unseren Weg finden?« fragte er und starrte in die Dunkelheit des Waldes.
»Nicht weit von hier ist eine Holzfällerschneise«, antwortete Wolf und zeigte in die Richtung. »Wir müssen nur noch ein wenig weitergehen.« Und er ging wieder los, folgte dem dunklen Waldrand, während Garion und die anderen hinter ihm herstolperten. »Da ist sie schon«, sagte er schließlich und blieb stehen, damit sie zu ihm aufschließen konnten. »Es wird dort drinnen sehr dunkel sein, und die Schneise ist nicht sehr breit. Ich gehe voran, ihr folgt mir.«
»Ich bleibe direkt hinter dir, Garion«, sagte Durnik. »Keine Angst. Es wird schon alles gutgehen.« Ein schwankender Unterton seiner Stimme verriet allerdings, daß seine Worte eher dazu dienten, sich selbst zu beruhigen, als dem Jungen Mut zuzusprechen.
Im Wald schien es wärmer zu sein. Die Bäume schützten sie vor dem böigen Wind, aber es war so dunkel, daß Garion nicht verstehen konnte, wie Wolf überhaupt seinen Weg fand. Ein schrecklicher Verdacht stieg in ihm auf: Vielleicht wußte Wolf gar nicht, wo er hinging, und tappte nur blindlings umher und vertraute auf sein Glück.
»Halt«, sagte eine rumpelnde Stimme zu seinem Entsetzen unmittelbar vor ihnen. Garions Augen, die sich ein wenig an die Finsternis gewöhnt hatten, nahmen die Umrisse von etwas Riesigem wahr, daß es unmöglich ein Mensch sein konnte.
»Ein Riese!« schrie er in plötzlicher Panik auf. Und dann gingen die Nerven mit ihm durch. Er war zu erschöpft, und die Erlebnisse des Abends waren einfach zuviel für ihn gewesen: Er rannte auf die Bäume zu.
»Garion!« rief Tante Pol hinter ihm. »Komm zurück!«
Aber Panik hatte ihn ergriffen. Er lief weiter, stolperte über Wurzeln und Gebüsch, stieß gegen Bäume und verhedderte sich mit den Beinen in Dornenranken. Es kam ihm vor wie ein endloser Alptraum einer blinden Flucht. Er lief voll gegen einen tiefhängenden Ast, den er nicht gesehen hatte. Der plötzliche Schlag gegen die Stirn ließ die Sterne vor seinen Augen tanzen. Er lag auf der feuchten Erde, keuchend und schluchzend, und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen.
Dann waren Hände an ihm, gräßliche, unsichtbare Hände. Tausend Schrecken schossen ihm durch den Kopf, und er kämpfte verzweifelt und versuchte, seinen Dolch zu erreichten.
»O nein«, sagte eine Stimme. »So nicht, mein kleines Kaninchen.« Sein Dolch wurde ihm abgenommen.
»Wirst du mich fressen?« stammelte Garion mit erstickter Stimme.
Sein Fänger lachte. »Auf die Füße mit dir, Kaninchen«, sagte er, und Garion fühlte, wie er von einer starken Hand hochgezogen wurde. Sein Arm wurde in einen festen Griff genommen, und dann wurde er halb durch den Wald geschleift.
Irgendwo vor ihnen war Licht, ein flackerndes Feuer unter den Bäumen. Es schien, als würde er dorthin gebracht. Er wußte, daß er nachdenken, eine Fluchtmöglichkeit ersinnen mußte, aber sein Verstand, vor Angst und Erschöpfung wie gelähmt, weigerte sich zu arbeiten.
Drei Wagen waren etwa im Halbkreis um das Feuer aufgestellt. Durnik war da, und Wolf und Tante Pol. Bei ihnen stand ein riesiger Mann. Er war so groß, daß er Garion ganz und gar unwirklich erschien. Seine baumdicken Beine waren in Felle gewickelt, die von Lederstreifen zusammengehalten wurden, und er trug ein knielanges, in der Taille gegürtetes Kettenhemd. Von dem Gürtel hing auf der einen Seite ein mächtiges Schwert, auf der anderen eine kurzstielige Axt. Sein Haar war geflochten, und er trug einen langen, struppigen roten Bart.
Als sie ins Licht kamen, konnte Garion den Mann sehen, der ihn eingefangen hatte. Er war klein, kaum größer als Garion selbst, und sein Gesicht wurde von einer langen spitzen Nase beherrscht. Seine Augen waren schmal und schräg, sein glattes, schwarzes Haar war schlecht geschnitten. Das Gesicht war nicht gerade vertrauenerweckend. Auch trugen die schmutzige und geflickte Tunika, die der Mann trug, sowie ein bösartig aussehendes Kurzschwert nicht dazu bei, den Eindruck, der von seinem Gesicht hervorgerufen wurde, zu verbessern.
»Hier ist unser Kaninchen«, verkündete der kleine, wieselgesichtige Mann, als er Garion in den Feuerschein hineinzog. »Es hat mir auch eine fröhliche Jagd beschert.«
Tante Pol war wütend. »Tu das nie wieder«, sagte sie streng zu Garion.
»Nicht so hastig, edle Pol«, sagte Wolf. »Noch ist es für ihn besser, wegzulaufen als zu kämpfen. Bis er größer ist,
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