Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
zu sein schien, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er ein guter Schauspieler war. Ich würde jede Wette eingehen, dass er davon keine Ahnung hatte: dass jemand anders sie geschrieben und abgeschickt hatte, ohne dass er davon etwas wusste, und dass sich diese Person die Videos irgendwie beschafft haben musste.
Außerdem passte die Geschichte auch mit dem Inhalt der Briefe zusammen. Die Einzelheiten in dem ersten zum Beispiel waren ziemlich dürftig – damals, als der General noch nichts Genaues wusste. Erst nachdem ihn Miller mit den Videos versorgt hatte, konnte er ins Detail gehen, uns sogar eine Kopie von einem der Videos schicken und es als sein eigenes Werk ausgeben.
Aber warum?
Genau das war die Frage.
»Auf welchem Weg hat Miller die Filme verschickt?«, wollte Renton wissen. »Vielleicht können wir das nachverfolgen. Hat er sie per E-Mail geschickt?«
»Nein, das wäre viel zu riskant. Der Typ hat ein Schließfach in einer Gepäckaufbewahrung mitten in der Stadt in der Nähe des Bahnhofs angemietet. Beide hatten einen Schlüssel. Ein Kurier für den General hat dort vermutlich das Geld hinterlegt und die CDs abgeholt, die Miller vorher deponiert hatte.«
»Und wie ist Miller an den Schlüssel gekommen?«
»Per Post. Den Umschlag hat er verbrannt, so dass wir ihm auch das nicht sicher nachweisen können. Aber wir haben den Schlüssel in seinem Zimmer gefunden, zusammen mit einem Geldbündel.«
Und das war unsere einzige Hoffnung.
Miller hatte gesagt, dass er gestern Abend einen Stapel CDs hinterlegt hatte. Seine Festnahme war streng geheim gehalten worden, und Fahnder in Zivil waren jetzt auf dem Weg zur Gepäckaufbewahrung. Auch wir würden gleich hinfahren. Das ganze Gebiet sollte möglichst unauffällig beobachtet werden, um herauszufinden, ob überhaupt jemand zum Schließfach kam. Es bestand eine, wenn auch geringe Chance, dass der General, wer auch immer es sein mochte, dort auftauchen könnte.
»Das ist gut«, sagte Renton. »Denn auf diesem Wege hier dürften Sie ihn wohl kaum kriegen.«
»Nein.«
Ich dachte an das Schließfach am Bahnhof. War das unsere einzige Chance?
»Nein«, sagte ich wieder. »Aber wir werden ihn kriegen.«
50
D er taucht hier nicht auf«, sagte Laura.
»Wahrscheinlich nicht.«
Trestle Storage war eine rund um die Uhr geöffnete Gepäckaufbewahrung, die sich in einer Nebenstraße hinter dem Bahnhof befand. Eigentlich nicht mehr als ein langgestreckter Raum mit nur einem Eingang, einer Glastür an einem Ende und einer von ramponierten Metallschließfächern vollgestellten Wand. Laura und ich saßen der Wand gegenüber in einer kleinen Nische hinter dem Schalter und schlürften Kaffee.
Den Mann, der eigentlich Aufsicht führte, hatten wir für die Nacht von seinem Posten entbunden und zehn weitere Kollegen diskret in den Straßen rund um das Gebäude postiert. Um es genau zu sagen, Trestle Storage war hermetisch abgeriegelt: Niemand kam rein und auch wieder raus, ohne dass wir es mitbekamen. Aber weder das eine noch das andere war bisher eingetreten. Abgesehen von der Neonlampe, die über unseren Köpfen vor sich hin brummte, war es mucksmäuschenstill.
Der General hatte diesen Ort sehr gut gewählt, überlegte ich. Die Stadt bot mehrere solcher Räumlichkeiten, und allen war gemeinsam, dass grundsätzlich keine Fragen gestellt wurden. Die Kundschaft rekrutierte sich im Wesentlichen aus Obdachlosen auf der Suche nach einem sicheren Ort, wo sie ihre wie auch immer gearteten Wertsachen lassen konnten, die sie nicht mit sich herumschleppen wollten, und kleinen Drogendealern. Die Gebühr für ein Schließfach betrug zwei Pfund pro Tag. Die Fächer hier waren nur zu einem Viertel belegt. Das Geld reichte kaum, um die Miete zu zahlen, aber die Besitzer solcher Schuppen waren in der Regel Kleinkriminelle, die ihre Schnitte anderswo machten.
Daher wurde auch auf Sicherheitsvorkehrungen kein großer Wert gelegt. Für Videoüberwachung war bestenfalls sporadisch gesorgt worden. Sie überwachte den Haupteingang, und das Band wurde bereits mittags wieder gelöscht. So gab es nicht mehr als knapp acht Stunden Filmmaterial zu sichten, aber alles, was wir zu Gesicht bekamen, waren Personen, die ein und aus gingen. Welches Schließfach sie aufsuchten, war nicht zu sehen. Außerdem wurde beim Anmieten nur der Name, nicht aber der Ausweis verlangt. Kam man nicht zurück, war der Inhalt verloren.
Die »Datenbank«, ein Stapel welliger, mit Kugelschreiber vollgekritzelter
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