Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
A4-Blätter, hatten wir schon überprüft, und das Schließfach, das uns interessierte, war während der letzten drei Wochen an James Miller vermietet worden. Das bewies natürlich gar nichts, weder in der einen noch in der anderen Hinsicht. Der General konnte einen x-beliebigen Namen angegeben haben, und beide Schlüssel am Steckbrett hinter uns fehlten.
»Ganz schön ruhig hier«, sagte ich.
»Glaubst du, der Mann am Schalter hat gequatscht?«
»Schon möglich.« Schlecht fürs Geschäft, wenn alte Bekannte auftauchen und die Polizei hinter dem Schalter sitzen sehen. »Gegenüber manchen jedenfalls. Aber nicht gegenüber dem General.«
»Langsam fange ich an zu glauben, dass es den ›General‹ gar nicht gibt.«
»Es gibt ihn. Wir haben seinen Namen schließlich von der Webseite.«
»Aber bisher wissen wir nur von Miller, dass sie überhaupt miteinander gesprochen haben. Und alles andere auch. Schließlich könnte er auch die Briefe selbst geschrieben und den Usernamen frei erfunden haben.«
Jetzt schien es mir sogar noch weniger wahrscheinlich, dass Miller so weit gegangen wäre. Wozu? Er hatte die Morde begangen; er leugnete das auch gar nicht. Ein solcher Trick würde ihm nichts nützen. Er könnte zwar seine Gründe haben, aber für mich sah es so aus, als gäbe es etwas Schlüssigeres.
»Was ist mit den Briefen?«
»Ich weiß nicht.«
»Ist dir aufgefallen, dass er sich besonders gut ausdrücken kann?«
»Eigentlich nicht.« Laura nippte an ihrem Kaffee und würdigte den Geschmack mit einer Grimasse. »Grauenhaft, das Zeug! Die einzige Möglichkeit, das herauszubekommen, ist, wenn er hier durch die Tür spaziert. Solange er das nicht tut, könnte alles nichts weiter als ein Hirngespinst aus Millers krankem Kopf sein. Aber da wäre noch etwas anderes.«
»Sag an.«
»Nehmen wir einmal an, dass es den General wirklich gibt und sich alles tatsächlich so zugetragen hat, wie Miller sagt. Und stellen wir uns vor, er spaziert in den nächsten fünf Minuten hier herein und öffnet das Schließfach.«
Ich sah zu der verschmierten Glastür am Eingang hinüber. Draußen nichts als dunkle Nacht.
»Ich sehe es vor meinem geistigen Auge.«
»Gut. Die Frage ist: Können wir ihm überhaupt etwas nachweisen?«
Sie hatte recht. Würde der Mann auftauchen, wäre Millers Aussage der einzige Beweis für seine Beteiligung an den Morden. Die Mitteilungen auf der Webseite mit den Hinweisen auf Anstiftung zu einer Straftat waren gelöscht worden, und die Briefe, die wir bekommen hatten, waren nicht mehr zurückzuverfolgen. Wenn wir den General hier und jetzt schnappten, dann stünde, wenn wir nicht weitere Beweise fanden, zum Beispiel bei ihm zu Hause, letztendlich sein Wort gegen das von Miller. Und im Gegensatz zu Miller war der General clever genug, umsichtig zu handeln und vorauszudenken. Er hätte sicher einen Haufen Erklärungen dafür parat, wie er in den Besitz des Schlüssels gekommen war.
»Erinnerst du dich, was Millers Vater gesagt hat?« Ich nahm einen Schluck Kaffee und stellte fest, dass Laura auch hier recht hatte. »Es ist nicht unsere Aufgabe, irgendetwas zu beweisen. Unsere Aufgabe ist es, ihn zu schnappen und an Beweisen zusammenzutragen, was immer wir finden können.«
»Klingt, als wäre dir das schon immer genug gewesen.«
»Nein«, sagte ich. »Vermutlich nicht.«
»Zumindest eines ist sicher: Ob sich Miller nun als Alleintäter erweist oder nicht, ihn haben wir. Er ist unser Mörder. Wenn es den General tatsächlich gibt, müssen wir ihn fassen, das ist klar. Aber wenigstens haben wir Miller.«
Ich nickte. Selbst wenn es den General gab und er sich der Anstiftung zu Straftaten schuldig gemacht hatte, war Miller immer noch derjenige, der sie ausgeführt hatte – und der saß jetzt hinter Gittern und ging nirgendwo mehr hin. Somit würde auch niemand mehr sterben. Und das war doch schon etwas.
Es war aber nicht genug, jedenfalls mir nicht. Natürlich musste sich Miller für seine Taten verantworten. Aber der General hatte dazu beigetragen.
Und ich wollte den Bastard nicht nur schnappen, ich wollte auch wissen, warum . Wie lautete der Code? Warum diese Briefe? Warum solche Abscheulichkeiten? Miller, hatte ich das Gefühl, konnte ich sogar ein wenig verstehen. Ein junger Mann, unter schwierigen und schikanösen Umständen aufgewachsen, der schnell begriffen hatte, dass man sich besser und überlegener fühlte, wenn man Angst und Schrecken verbreitete. Seine Motive – Geld und
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