Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
dunklere Gewitterwolken zogen am Himmel auf.
Weil er es war.
»Erde an Hicks«, sagte Laura. »Alles in Ordnung?«
»Ja, alles in Ordnung.«
»Ich habe den Eindruck, dass ich dich das in letzter Zeit sehr oft fragen muss.«
»Und ich habe den Eindruck, dass ich dir schon oft gesagt habe, dass alles in Ordnung ist.«
Was nicht stimmte. Ganz und gar nicht. Als die Besprechung zu Ende war und alle dem Ausgang zustrebten, hatte Laura mich Franklin vorgestellt. Ich hatte ihm die Hand gegeben und versucht, ihm in die Augen zu sehen, ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung war . Ob mir das gelungen war, wusste ich nicht, glaubte aber, mein Unbehagen recht gut überspielt zu haben. Er schien mich nicht erkannt zu haben, aber ich ging davon aus, dass es früher oder später so kommen würde.
Laura sagte: »Bist du sicher? Weil, du scheinst …«
»Die Briefe«, unterbrach ich sie.
»Lenk nicht vom Thema ab.«
»Hab ich schon. Ich habe das Thema längst gewechselt, du hast es nur nicht rechtzeitig verhindert. Ich denke über die Briefe nach.«
»Ich auch.«
»Ja, aber ich habe an etwas anderes gedacht als du. Weil du nicht gesehen hast, was der Kerl auf dem Friedhof angerichtet hat.«
Mit einem Seufzer lehnte sich Laura zurück und fuhr sich mit der Hand durch das Haar, das natürlich gleich wieder tadellos saß.
»Mach weiter.«
»Mir fällt auf, dass dieses Verhalten überhaupt nicht zu den Briefen passt. Ich meine, mit der Art, wie er sich in den Briefen gibt, kontrolliert und gewandt. Ganz und gar nicht der Typ Mensch, der sich zum Grab eines Menschen begibt, um darauf zu scheißen.«
»Er schrieb, dass sie ihm nichts bedeuten.«
»Genau. Ich nehme an, dass er das nur vorgibt. So etwas tut man nicht, wenn einem jemand wirklich nichts bedeutet. Instinktiv oder logisch betrachtet würde ich wetten, dass der Kerl, der die Briefe schreibt, nicht Evans’ Grab geschändet hat, sondern …«
»Sondern?«
»Ich traue meinen Instinkten nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, was ich von alldem halten soll. Nichts ergibt einen Sinn.«
Sie sah mich eine Weile an und beugte sich dann vor.
»Was ist mit dem Video? Er hat uns das Video geschickt.«
»Stimmt. Kann es sein, dass er einen Komplizen hat? Vielleicht hat der Vorfall auf dem Friedhof in der letzten Nacht aber auch gar nichts damit zu tun.«
»Glaubst du?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll.« Der Satz entfuhr mir zu hart, und ich konnte an Lauras Gesicht ablesen, dass sie drauf und dran war, erneut die allzu bekannte Frage zu stellen. Ist alles in Ordnung? »Ich sag das einfach mal so. Spiele ein wenig mit Ideen.«
»Gut. Hör zu, ich …«
Das Telefon klingelte. Stirnrunzelnd nahm sie den Hörer ab. Einen Augenblick später griff sie nach einem Stift und begann hektisch, sich Notizen zu machen. Ihre Miene verdüsterte sich. Der Block lag verkehrt herum, aber ich konnte erkennen, dass sie eine Anschrift und weitere Details notierte.
Marie Wilkinson …
»Okay.«
Sie klang gequält.
Als sie wieder auflegte, musste sie nichts mehr sagen. Wortlos zog ich meine Jacke an. Wieder einer. Noch dazu ein richtig übler.
Aber in dem Moment hatte ich natürlich überhaupt keine Ahnung.
32
F iebrig erregt sitzt der General in seinem Auto und wartet.
Obwohl seine Arme von dem Adrenalin, das das Töten freisetzt, immer noch zittrig sind, strotzt er vor Stärke – berauscht von dem Hochgefühl, das dieser Tag und die Tage davor in ihm haben anwachsen lassen.
Die Planung war für ihn vor allem ein intellektuelles Experiment. Er hatte sich nicht vorstellen können, wie aufregend die Ausführung sein würde. Natürlich ist es manchmal grauenhaft und sogar schwierig gewesen, aber immer verbunden mit der Faszination des Exklusiven. Jetzt verfügt er über ein geheimes Wissen. Nur wenige Menschen auf der Erde sind jemals in den Genuss solcher Einsichten und Sinneseindrücke gekommen. Nur wenige haben so viele umgebracht.
Und er versteht jetzt, wie und warum sein Vater der Mann geworden ist, an den er sich erinnert: der leidenschaftslose Menschenmörder. Der Akt des Tötens lässt sich kaum beschreiben: eine Mischung aus Überschreiten und Macht vielleicht; das Gefühl, es nicht zu dürfen, gefolgt von der Erkenntnis, dass es geht.
Sein Vater wäre stolz auf ihn.
Die Ampel springt um, und die Autos vor ihm setzen sich in Bewegung. Mit zittriger Hand löst der General die Bremse und folgt ihnen.
Und der Geist seines Vaters, neu heraufbeschworen, folgt in seinem
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