Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
Sache selbst in die Hand genommen zu haben und war zum Haus der Wilkinsons gegangen, um nachzusehen, ob mit Marie alles in Ordnung war. Als er das Haus betrat, muss er den Mörder gestört haben. Er war selbst angegriffen worden. Zu diesem Zeitpunkt oder kurz danach war der Killer geflüchtet.
Die Polizei war kurz vor neun eingetroffen und hatte Carter mit schweren Kopfverletzungen zusammengesackt auf der Außentreppe gefunden. Marie Wilkinson lag auf dem Fußboden in der Küche. Beide waren noch am Tatort gestorben. Carters Einmischung hatte den Killer zwar daran gehindert, Marie Wilkinson die üblichen, noch schwereren Verletzungen zuzufügen, doch was er gemacht hatte, erwies sich als völlig ausreichend.
Was bedeutete das für uns? Zum einen, dass der Killer sie möglicherweise vorher beobachtet hatte – dass er gewartet hatte, bis Tony Wilkinson gegangen war, um dann sofort zuzuschlagen. Carters Auftauchen war vielleicht nur ein Versehen. Wenn also Marie Wilkinson das Ziel war, das er ausgewählt hatte, wie passte das ins Bild? Hatte sie etwas Besonderes, oder war es der Ort? Wir wussten es nicht. Im Augenblick brachte es uns keinen Schritt weiter.
Ich rieb meine Hände gegeneinander, während mir das alles durch den Kopf ging. »Ist Ihnen in den letzten Wochen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Zum Beispiel?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht jemand, der sich herumgetrieben oder das Haus beobachtet hat?«
Wilkinson schüttelte den Kopf. »Um Himmels willen, was glauben Sie denn? Ich hätte sie doch … niemals allein gelassen, wenn mir etwas aufgefallen wäre.«
Ich nickte, so freundlich ich konnte. Aber der selbstgewisse Ton seiner Stimme täuschte nicht darüber hinweg, dass man das im Nachhinein immer leicht sagen konnte. In Wirklichkeit hatte er vielleicht doch etwas Verdächtiges bemerkt. Oder Marie konnte ihm etwas gesagt haben, worauf er möglicherweise nicht reagiert hatte. Weil man das einfach nicht macht. Gestern hat hier so ein Typ ziemlich lange rumgehangen. Was soll man in so einem Fall tun – den Job aufgeben und am Fenster sitzen und warten?
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
»Wirklich nichts? Egal, wie unbedeutend es Ihnen auch vorgekommen sein mag …?«
»Nein.«
Wieder dieser Blick: Ich bin doch kein Idiot.
»Ich bin mir sicher.«
»Gut.«
Ich schluckte die Enttäuschung hinunter. Musste es nicht irgendetwas gegeben haben? Etwas, das so harmlos und belanglos war, dass er es vergessen hatte – oder, schlimmer noch, dass er beschlossen hatte, es zu vergessen, denn es jetzt einzuräumen würde bedeuten, dass ihm klargeworden war, dass er eine Mitschuld am Schicksal seiner Familie trug. Wäre das der Fall, könnte ich es verstehen, und er hätte mein ganzes Mitgefühl. Aber genau diese kleinen Dinge brauchten wir jetzt. Alles Mögliche brauchten wir jetzt.
Gerade wollte ich einen neuen Versuch unternehmen, als Laura mich ans Knie stupste: ihre ständige »Könnte es vielleicht auch sein, Hicks«-Geste.
»Kommt Ihnen vielleicht irgendjemand in den Sinn, der Marie etwas hätte antun wollen?«, fragte sie. »Ich weiß, dass …«
»Nein, natürlich nicht. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie Feinde.«
»Und was ist mit Ihnen?«
» Nein.« Seine Miene versteinerte. »Was soll das jetzt?«
»Wir machen nur unsere Arbeit.«
»Hätte jemand ein Problem mit mir, dann würde er es doch mit mir regeln, oder?«
Nicht unbedingt, dachte ich. Tatsache ist, dass jeder Feinde hat, der eine mehr, der andere weniger. Tony mochte über seine Frau oder sich selbst sagen, was er wollte, es gab bestimmt jemanden, der sie nicht leiden konnte. Vielleicht hat sie sogar jemand gehasst. Bei normalen Ermittlungen waren es oft genug genau diese scheinbar harmlosen Feindseligkeiten und Streitereien, die sich als ausgesprochen brauchbar erwiesen.
Es war aber keine normale Ermittlung. Dem Kerl ging es nicht um Menschen. Die Leute, die gestorben sind, bedeuten mir nichts. Die üblichen Fragen waren nichts als ein Abhaken und reine Zeitverschwendung. Hunderte von Leuten könnten Marie oder Tony hassen, ohne dass es von Bedeutung wäre.
Also noch einmal die Frage: Warum hatte es der Killer auf sie abgesehen? Wie passte sie in den Code, den zu knacken er uns aufgegeben hatte? Sie war dreiunddreißig gewesen, brünett, schwanger. War es das? Oder hatte das alles gar nichts mit ihr zu tun, sondern eher mit dem Ort?
»Haben Sie Kinder, Detective?«
Tony Wilkinsons Frage traf mich wie eine
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