Kind des Glücks
die Erinnerung an den lebendigen Mann oder die Frau wiederzuerwecken, die schon lange verloren sind. Soll heißen, sobald mir die Chemikalie und das Verhalten meiner grünen Jungs jede Möglichkeit geraubt hatten, die Effekte der Traumkammern zu genießen, konnte ich nichts weiter als die dummen Tricks sehen, mit denen sie funktionierten.
Kurz gesagt, stürzte ich in einen Abgrund spiritueller Angst, die wenig dazu beitrug, meine augenblickliche Meinung von Guy Vlad Boca zu heben. Unter dem Einfluß von Kameraden wie Raul und Imre und dem chemischen Kuß eines Übermaßes von Drogen schien sich mein Prinz in einen Frosch zu verwandeln.
Zum erstenmal, seit er mich aus der Armut gerettet und schwungvoll aufgelesen und in die Kosmokultur gebracht hatte, begann ich gehässige Vergleiche zwischen Pater Pan und seiner edlen Betrachtung der Zauberstraße und Guy Vlad Boca zu ziehen, dessen höchstes Ziel nach eigener Aussage das Amüsement war; ich verglich die Armut an Mitteln und den Reichtum des Geistes als Gypsy Joker mit dem, was ich inzwischen als Reichtum an Mitteln und Armut im Geist der Kosmokultur kannte, verglich meinen Handelsprinzen, vraiment, mit mir, die ich plötzlich hier war.
Doch ich muß ihm – oder der Kraft der Droge – zugute halten, daß er mein wachsendes Unbehagen bemerkte. Als Imre ziellos ein paar Schritte vor uns durch den Gang streifte, bemerkte er meinen Blick, las, was darin geschrieben stand, oder wenigstens den Kernpunkt, schenkte mir ein fröhliches Lächeln und nickte in verschwörerischer Zustimmung.
»Vraiment, diese jugendliche Scherze sind nicht mehr amüsant«, sagte er. »Komm, laß uns in den Grand Salon zurückgehen und weiterfeiern.«
Ich nickte zustimmend, dann nickte ich noch einmal in Imres Richtung und begleitete die Geste mit einem leichten Aufblähen der Nasenflügel. Auch dies bemerkte Guy sofort und zuckte gleichgültig mit den Achseln.
So überantworteten wir Imre sich selbst, verließen die Ebene der Traumkammern und kehrten zum Grand Salon zurück, endlich befreit von der zuletzt lästigen Gesellschaft; wenigstens für den Augenblick hatte sich Guy Vlad Boca – wenn auch etwas zögerlich – wieder als mein Prinz erwiesen.
Im Grand Salon war das Fest in vollem Gange, was heißen soll, daß der Saal – wie er es zu jeder Zeit zu sein schien – stark von Geehrten Passagieren frequentiert war; sie nippten zierlich ihren Wein, knabberten Leckereien, inhalierten mit Kennermienen Drogen, die weit weniger wirksam waren als jene, an die wir uns bei unseren privaten Seancen gewöhnt hatten, plauderten in kleinen Gruppen über Themen, die wie immer über mein Verständnis gingen oder mich nicht interessierten, bar jeder wirklichen Leidenschaft und deshalb auf einer Ebene zivilisierter Spitzfindigkeit, um die ich sie paradoxerweise beneidete, wenn ich es damals auch nicht vor mir zugeben wollte.
Wie üblich brannten diese älteren, eleganten Wesen nicht gerade darauf, unerfahrene Kinder des Glücks wie uns in ihre Unterhaltungen einzubeziehen, und so setzten Guy und ich uns an einen Tisch – mitten im Trubel, aber dennoch psychisch distanziert, was wir dank der chemischen Verstärkung um so stärker wahrnahmen und was bei mir nicht gerade begeisterte Zustimmung zu diesem Zustand hervorrief.
Wir nahmen von einem vorbeigleitenden Schweber hohe Kelchgläser mit Wein, nippten müßig daran und reckten die Hälse geziert, was uns immerhin wie eine drôle Parodie auf die Manieren der Geehrten Passagiere vorkam, wenn der Humor auch zweifellos bei allen anderen außer uns selbst verschwendet war.
»Ganz ehrlich, Guy«, fragte ich in scherzendem Ton, in den sich eine gewisse neidische Verachtung mischte, »als weithin gerühmter Fachmann auf diesem Gebiet – hältst du unsere augenblickliche Gesellschaft wirklich für so amüsant, wie sie sich selbst zu finden scheint?«
»Wenn ich so ehrlich sein soll, wie es mir im Augenblick möglich ist, ma chère«, erwiderte Guy mehr oder weniger im gleichen Tonfall, »habe ich noch nie etwas so amüsant gefunden wie das Urteil der Kosmokultur über sich selbst.«
»Nicht einmal mich?« schnurrte ich leise.
»Vraiment«, sagte er mit seltsamer Stimme, »nicht einmal mich selbst!«
»Ein Zugeständnis, das ich nie von Guy Vlad Boca erwartet hätte!« erklärte ich munter.
Doch Guy war plötzlich leidenschaftlicher und ernster, als ich ihn je gesehen hatte. »Kannst du dir vorstellen, daß ein Mensch, dessen Geist bereits die
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