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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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Blumenblättern, so tief blau, daß sie fast schwarz schienen – die Färbung jener Region einer planetarischen Atmosphäre, wo der Himmel zum Raum wird, oder gleich dem Augenblick zwischen Sonnenuntergang und Nacht. Auf dem flachen, mit weißen Pollen bedeckten Stempel saß ein nackter Mann mit weißem Haar und einem weißen Bart. Er hatte die Beine im klassischen Lotussitz verschränkt und der Blumen-Halo den Rücken gewandt wie eine uralte Tempelfigur, während er die Lippen zu einem verzückten Lächeln geöffnet hatte.
    Doch statt in inneren Bildern verloren zu sein, musterten uns seine großen, braunen Augen mit einer Klarheit und Bewußtheit, die nicht zu leugnen war.
    Ebensowenig schien es, als konnten wir unsere Augen nicht von ihm wenden, denn ohne Absprache schritten Guy und ich Hand in Hand zu diesem Baba und setzten uns vor ihn wie eifrige Schüler vor ihren Guru. Vielleicht war es das Ambiente, das uns dazu brachte, vielleicht die Kraft dieser alten Augen, vielleicht hatten wir zugleich denselben Gedanken, nämlich, daß wir endlich mit einem dieser rätselhaften Menschen sprechen konnten, da dieser Einsiedler so offensichtlich unsere Existenz bemerkte.
    »Sprich zu uns, bitte, Baba«, sagte ich mit fester, doch respektvoller Stimme, »und zeige uns, daß hinter diesem weisen Anlitz jemand wohnt.«
    Das Lächeln wurde breiter, ähnelte nun fast einem Grinsen. »Ich war noch nie mehr hinter meinen Augen zu Hause«, sagte er mit ruhiger, klarer Stimme.
    »Du sprichst!«
    »Warum schweigen all die anderen Einsiedler?«
    »Das können nur sie selbst dir sagen, Kind, und sie wählten das Schweigen.«
    »Aber du sprichst mit uns«, sagte ich. »Warum bist du anders?«
    »Sind nicht alle Menschen unterschiedlich, einer anders als der andere?« sagte der Baba. »In den Menschenwelten war ich ein hingebungsvoller Pädagoge; vielleicht spreche ich deshalb vor meiner letzten Blume zu euch jungen Geistern in der Art eines beredsamen Bodhisattwa.«
    »Wenn dies so ist, warum sitzt du dann reglos und erwartest hingebungsvoll den Tod, statt zu den Menschenwelten zurückzukehren und edle Taten zu vollbringen wie ein wahrer Bodhisattwa?«
    Der alte Mann riß die Augen auf, sein Dauerlächeln war einen Augenblick nicht mehr verzückt, sondern ganz weltlich – nämlich das seines ehemaligen pädagogischen Selbst, das von einem unerwartet gewitzten Schüler herausgefordert wird.
    »In den Menschenwelten würde ich dahinscheiden und gegen das Sterben des Lichtes kämpfen«, sagte er. »Nur in der himmlischen Sphäre meiner vollkommenen Blume kann ich den letzten Augenblick meines Tao voll erfahren.«
    »Dann ist dies wirklich der vollkommene Lotus der letzten Erleuchtung!« rief Guy, während er in beunruhigender Weise an seiner Gasmaske herumfummelte.
    »Viele Blumen wachsen auf dem Bloomenveldt. Hier mag jeder für sich seine Blume der Vollkommenheit finden.«
    »Vielleicht ist dies meine…«, sagte Guy atemlos und machte Anstalten, die Maske abzustreifen.
    Bevor ich ihn aufhalten konnte, unterbrach ihn der alte Mann mit plötzlich erhobener Hand – eine mächtige Geste im Lichte seiner bisherigen Reglosigkeit. Und als er sprach, vereinte sich die ruhige Gewißheit des Bodhi mit der Autorität des Lehrers.
    »Suche erst deine eigene Blüte, junger Geist, ehe du dich in diese letzte Blüte versenkst!«
    »Gut gesprochen, sehr gut gesprochen!« mußte ich begeistert erklären.
    Und darauf, mit so feinen Anzeichen, daß man sie nur intuitiv erfassen konnte, zog sich der Geist in diesem verlebten Körper von jedem weiteren weltlichen Diskurs zurück.
    »Warte!« sagte Guy. »Sag mir wenigstens noch, wie ich die Blume meiner Vollendung finden kann!«
    »Laß das Parfüm des Paradieses zu dir kommen, Mohammed.«
    »Vraiment, natürlich, wir können unseren Weg nur finden, wenn wir uns verirren, no?« rief Guy. »Wir müssen im Geiste dieses Zauberwaldes atmen, wir müssen unser Schicksal tapfer und unmaskiert suchen – das sagt er uns, Sunshine!«
    »Dieses Koan gibt mir kein so eindeutiges Satori«, sagte ich säuerlich.
    »Merde, sag es diesem niederen Geist in Worten, die sie vielleicht versteht!« verlangte er grob vom schweigenden Bodhi.
    Doch der alte Mann ignorierte diese ungehörige Forderung. Sein Geist war schon lange zur ungestörten Kontemplation der Reiche in seinem Innern aufgebrochen. Keine Bemühung von unserer Seite konnte ihn bewegen, noch einmal zu sprechen.

 
   18
     
     
    Guy andererseits war

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