Kinder der Apokalypse
Licht.
29
Hawk wusste nicht, was er tun sollte.
Selbst nachdem Logan Tom weg war und er allein in seiner Zelle saß und ausführlich nachdenken konnte, wusste er es noch immer nicht. Oh, er verstand nun, wie er auf die Fingerknochen reagiert hatte – das war ihm klar. Er nahm die Knochen, schloss sie in seine Faust und besonders dort, wo er sie an der Haut seiner Handfläche spürte, löste das ein sehr unerwartetes Erwachen in ihm aus. Ob er zuvor etwas von dem geglaubt hatte, was Logan Tom von ihm dachte oder nicht, plötzlich erkannte er, dass er all das war und so viel mehr.
Sein Erwachen kam in Form von Visionen, so scharf und klar, dass er nicht einmal im Traum an ihnen gezweifelt hätte. Sie explodierten in seinem Kopf wie ein Feuerwerk, sie erwachten abrupt zum Leben.
Die erste zeigte eine Frau, schlank, hoch gewachsen und sportlich, ihr Gesicht sofort vertraut. Sie hatte seine grünen Augen, seinen Körperbau und die gleichen kantigen Züge. Er erkannte sie instinktiv, ohne dass jemand etwas sagte, ohne dass ein Wort fiel.
Nest Freemark. Seine Mutter.
Das zu wissen, die Sicherheit, mit der er es wusste, brach durch seine Zweifel und machte ihn atemlos vor Erkenntnis. In seiner Vision sprach sie von ihrer Beziehung, davon, was er war und wie er entstanden war. Er sah sich als Junge in der Gesellschaft eines anderen Ritters des Lichts, eines Mannes namens John Ross. Er war immer noch der Zigeunermorph, immer noch aus der Magie kommend, die ihn zur Welt gebracht hatte, auf der Suche nach seiner Identität.
Dann war er in ihr, ihr ungeborenes Kind, seine Magie mischte sich mit ihrer, um ein neues Leben zu erschaffen.
Nachdem er zur Welt gekommen war, blieb er bei ihr, bis er alt genug war zu gehen, und dann …
Dann wurde alles vage und unsicher. Sie war da und dann nicht mehr, am Leben und dann wieder in der Erde, im Äther und den Schatten. Er war wieder alleine, vielleicht lange Zeit, und die Welt, in der er lebte, war eine andere Form von Schatten …
Man hat dich in Sicherheit gebracht, sagte sie zu ihm. Du befandest dich an einem Ort, wo deine Feinde dich nicht erreichen konnten.
Das verstand er nicht, und vielleicht sollte er es auch nicht verstehen. Er sah in die Augen seiner Mutter, als sie ihm all das berichtete und ihm mehr über seine Identität verriet.
Dann sah er sich, wie er nach Seattle kam und in das Leben der Ghosts trat, und alle Verbindungen wurden ihm klar. Seine Mutter lächelte, beugte sich vor und berührte ihn sanft an der Wange. Er konnte spüren, wie sehr sie ihn liebte. Er begriff, dass seine Erinnerungen an seine Eltern vage und unsicher gewesen waren, weil es sie nie wirklich gegeben hatte. Vielleicht hatte er sie erfunden, um das Gefühl zu haben, irgendwo hinzugehören. Aber Nest Freemark war seine wahre Mutter, und seine Erinnerung an sie, die er nun zurückerhalten hatte, war alles, was zählte.
Eine körperlose Stimme sprach als Nächstes, eine, die er nicht erkannte. Es gab kein Gesicht zu dieser Stimme, keine Präsenz, die es ihm möglich gemacht hätte festzustellen, woher sie kam. Die Stimme klang sehr alt. Sie erzählte ihm die Geschichte von dem Jungen und seinen Kindern, die, die Owl den Ghosts Stück um Stück erzählt hatte. Nur dass diese Version zwar überwiegend die gleiche war, aber ein paar kleine Unterschiede aufwies. Sie war komplizierter und länger. Er war immer noch der Junge, und die Ghosts waren immer noch seine Kinder, aber es gab auch andere. Zusammen unternahmen sie eine lange Reise, um einen Ort zu finden, dessen Wände aus Licht gebaut waren, und die Farben waren nicht mehr gedämpft, sondern hell und rein. An diesem Ort gab es ein Gefühl von Frieden, ein Versprechen von Sicherheit und die Gewissheit, dass das Böse der Welt sie nicht erreichen konnte. Er hörte, wie immer wieder sein Name fiel. Hawk, Hawk. Er wusste nicht, was das bedeutete, und konnte nicht sehen, wer da sprach. Aber es bewirkte, dass er sich zu Hause fühlte.
Weitere Bilder erschienen. Er sah Ungeheuer und dunkle Geschöpfe, die aufstanden, um gegen ihn zu kämpfen. Er sah, wie er vor ihnen floh und wie sie ihn jagten. Die Ghosts flohen mit ihm, zusammen mit anderen. Die Verfolgung ging weiter, ein langes, furchterregendes Rennen gegen einen Tod, der seinen Feinden auf einem feurigen Wind folgte.
Es gab auch noch andere Visionen – andere Stimmen – aus dem Erwachen, das die Fingerknochen bewirkt hatten, Visionen, die aus seiner Erinnerung und der Vorahnung
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