Kinder der Dunkelheit
das Bild, das ihn, obwohl es klein und nicht sonderlich scharf war, merkwürdig fesselte. Endlich erhob auch er sich, steckte das Telefon in eine der zahlreichen Taschen seiner grauen Cargohose und schickte sich an, seinem Vater zu folgen, wurde aber kurzfristig noch einmal von der Aussicht aus dem Fenster gefangen genommen. Wann er den herrlichen Blick über das Mittelmeer wieder würde genießen können, stand in den Sternen. Jetzt wartete zunächst die Wüste auf ihn. Ares fühlte sich an diesem Abend genauso wenig wohl in seiner Haut wie vor in der Nacht, als er den Fürstensohn getötet hatte. Mit beiden Händen strich er sich eine lockige Strähne aus dem Gesicht. Was war denn nur los mit ihm? Diese bescheuerten Gefühlsduseleien konnte er, gerade jetzt, überhaupt nicht gebrauchen, verdammt noch mal! Verwirrt und wütend auf sich selbst folgte er seinem Vater zu dem wartenden Mercedes in der Auffahrt.
Heute erschien ihr der Sonnenaufgang irgendwie dunkler als sonst, doch wahrscheinlich lag das nur an den vom stundenlangen Weinen verquollenen Augen. Sich zusammenzunehmen, war manchmal wesentlich leichter gesagt als getan. So oft hatte sie den berühmten Griff in die Tonne in Sachen Männer getan und jetzt endlich dieses magische, unwirklich liebevolle und schlicht atemberaubende Wesen gefunden – und schon zog er nach etwas über zwei Monaten gemeinsamer Zeit in etwas, das er gar als „Krieg“ titulierte.
Noch immer verstand sie nicht wirklich, womit sie es hier zu tun hatte. Gut, sie hatte kapiert, dass ein wahnsinniger, über zweitausenddreihundert Jahre alter Feldherr plötzlich lebendig unter den Menschen weilte und jetzt, so wie es aussah, dafür, dass man ihn vor unendlich langer Zeit um die Weltherrschaft betrogen hatte, einen blutigen Rachefeldzug führte. So weit ve rstand sie es halbwegs. Warum man aber so viel Angst vor ihm zeigte, das verstand sie noch immer nicht. Dazu hätte man ihr eventuell auch einmal genauer erklären müssen, was es mit diesem „Blut des Lichts“ auf sich hatte.
Die größte Sorge bereitete ihr aber ganz einfach der Umstand, dass Lucas Leben in dem Augenblick in großer Gefahr war, in dem er diesem Perdikkas oder Alexandre de Thyra, wie dieser sich ja wohl jetzt nannte, gegenübertreten würde. Alexandre de Thyra – ein etwas „wuchtiger“ Name, wie sie fand. Überhaupt hatten die Männer in ihrem Umfeld alle sehr klangvolle Namen, wobei Luca de Marco eindeutig der schönste war.
Sabine rollte sich, noch immer müde und ziemlich unmotiviert, aus dem Bett und schlurfte traurig zum Fenster. Der Himmel war ein wenig bewölkt, aber es versprach, ein schöner Tag zu werden. Na toll. Sie würde wenig davon mitbekommen, denn solange Angel schlief, und er war erst gegen fünf Uhr morgens zurückgekommen , war sie hier eingesperrt. Lucas Weisung war deutlich genug gewesen: Nur mit Angel durfte sie den Palazzo verlassen. Mist, verflixter! Allein, eingesperrt und dann auch noch die Angst um Luca, das war ein bisschen viel auf einmal. Sabine beschloss, sich erst einmal ein Viertelstündchen unter die Dusche zu stellen und zu versuchen, ihr Gesicht wieder einigermaßen in Form zu bringen. Mit hängenden Schultern schnappte sie sich ein einfaches blaues T-Shirt und ihre Jeans, dann trollte sie sich in Richtung Badezimmer.
Eine knappe Stunde später tapste sie leise auf der Suche nach einem passablen Frühstück durch den Palazzo. In der Küche wurde sie schnell fündig, wohl auch, weil Marcello offenbar schon auf sie gewartet hatte. Er zauberte ihr ein wunderbares Müsli und einen frischen Kaffee, und als sie den letzten Schluck hinuntergespült hatte, fühlte sie sich schon viel besser. Na gut, hier „eingesperrt“ zu sein, war nicht ganz so schlimm, wie es im ersten Augenblick vielleicht erschien.
Marcello freute sich über ihr begeistertes Lob und begann kurz darauf, die Küche aufzuräumen, während sich Sabine auf den Weg zu Raffaeles Arbeitszimmer machte. Ohne den liebenswerten, klugen Vampir erschien es ihr viel größer und wesentlich unpersönlicher als sonst. Leise seufzend, setzte sie die Studien in Sachen „ alte Kräuterheilkunde“ vorerst allein fort. Die wertvollen antiken Bücher und Schriften, über die Raffaele verfügte, waren absolut unbezahlbar. Für den Fall, dass die Kirchenfürsten einst geglaubt hatten, es wäre alles unter ihren Augen verbrannt worden, so waren sie wohl nicht auf die Kinder der Dunkelheit gefasst gewesen . Sabine genoss es,
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