Kinder der Dunkelheit
aufgestellt, die ihre nächste Umgebung keine Sekunde aus den Augen ließen.
Wie auf Kommando erschien Abdallah oben auf der Galerie, dessen Antlitz sich merklich entspannte, als er die Neuanköm mlinge erkannte. Während er die Treppen nach unten eilte, kam Janan aus dem Haus und schlurfte den dreien müden Schrittes entgegen.
Raffaele bemerkte, dass der Schmerz über den Verlust des g eliebten Sohnes deutliche Spuren bei ihr hinterlassen hatte. Ohne ein Wort zu sagen, ging er auf sie zu und schloss sie fest in die Arme. „Janan, meine liebe Freundin, du wirst mir verzeihen, wenn ich mir die üblichen Worte spare. Du weißt, was ich fühle, und ich kann sehr gut spüren, was dich bewegt. Nicht nur das, ich kann es sehen. Ich bitte dich, gib dich nicht auf.“ Das Beben von Janans Schultern zeigte ihm, dass seine Worte sie sehr gerührt hatten. Vorsichtig schob er sie ein wenig von sich weg. „Wann hast du das letzte Mal von Abdallah Blut angenommen? Ist dir bewusst, dass Habib das verurteilen würde? Weißt du eigentlich, wie sehr dein Sohn dich geliebt hat? Janan, du musst bei Kräften sein für all das, was jetzt noch kommt!“
„Raffaele, es ist gut, dich zu sehen und auch deine Anteilnahme ist wie ein warmer Regenschauer, aber nichts kann mir wiede rgeben, was diese Bestie mir genommen hat.“
„Du siehst, mein Freund, sie weigert sich, Trost anzunehmen. Niemand vermag sie derzeit dazu zu bringen, sich dem Leben wieder zuzuwenden.“ Abdallah war hinter Raffaele und seine Frau getreten und auch aus seinen Zügen sprach die Sorge um die geliebte Gefährtin.
Nach einer herzlichen Begrüßung nahmen sie alle in dem stilvoll eingerichteten Wohnzimmer Platz. Luca machte es sich auf zwei großen Sitzkissen auf dem Boden bequem. Raffaeles leicht tadelnden Blick quittierte er nur schulterzuckend mit den Worten: „Lass es gut sein, alter Freund, schon vor über vierhundert Jahren hat mein Vater erfolglos versucht, mich dazu zu erziehen, wie zivilisierte Menschen in Stühlen zu sitzen. Ich mag es so!“
Saif war es, der sich nun ungeduldig zu Wort meldete. Er schi lderte nochmals die bereits während der Fahrt geäußerten Befürchtungen und versetzte Abdallah umgehend in Angst.
„Saif, wenn du recht behältst, dann wäre Samira jetzt mögl icherweise in großer Gefahr! Wer weiß, vielleicht war es nur ein geschicktes Manöver, die Aufmerksamkeit auf die Ältesten zu lenken. Was, wenn es dieser Kretin ein weiteres Mal auf unsere Kinder abgesehen hat?“
„Aber mit welcher Motivation? Er hat zehn Jahre lang einen blutigen Feldzug gegen eure erstgeborenen Söhne geführt, wi ssend, wie sehr er die Fürsten damit trifft und wie viel Leid er ihnen zufügt. Warum sollte er jetzt auf einmal seine Hände nach den Töchtern ausstrecken?“ Raffaele warf einen fragenden Blick in die Runde.
Es war Janan, die mit leiser Stimme den möglichen Grund li eferte. „Weil er weiß, wie kostbar unsere Töchter sind. Weil er ganz genau weiß, dass auf zwanzig männliche Kinder nur ein Mädchen kommt. Wie viele der Fürsten haben denn Töchter? Bitte überlegt doch einmal! Unsere Tochter Samira, Richards Tochter Audrey, Domingos Tochter Luisa und Mustafas Jüngste, Selda. Unsere Söhne hat er schon getötet, warum jetzt nicht unsere Töchter?“
Betretenes Schweigen erfüllte den Raum, jedem war klar, dass Janan die Sachlage sehr genau erkannt hatte.
„Wie viele Leute hast du hier, mein Freund?“, wandte sich Saif an Abdallah.
„Nicht so viele, wie ich derzeit gern hätte, ich denke, wir sind hier gerade einmal zwanzig, Janan und mich eingeschlossen. Einige der Diener sind bereits in Sousse, dort wollten wir uns nächste Woche mit Samira treffen. Ich wollte das Haus vorbereiten lassen.“
„Steht der Plan noch, dass Samira nach Sousse reist?“, mischte sich Luca in das Gespräch ein.
„Ja, eigentlich schon, wir haben nichts Gegenteiliges beschlossen. Warum?“
„Weil Samira in Gefahr ist, sobald sie das Haus verlässt. Man hat uns vorhin nicht umsonst um ein Haar in die Luft gejagt. Weder Samira noch Jorge verfügen über die Fähigkeit, eine Bombe zu erspüren.“
Janan stöhnte entsetzt auf. „Man hat – was? Jemand hat versucht, euch zu töten? Wieso sagt mir das keiner?“
Raffaele griff nach der Hand der aufgebrachten Frau. „Weil wir dich nicht noch mehr in Angst und Schrecken versetzen wollten, als du es sowieso schon bist, Janan. Uns ist ja nichts passiert, nur das schöne Auto ist
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