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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Grüße des Kommandanten und seiner drei Offiziere entgegen, nickte ihnen kurz zu. Fast zehn Stunden waren vergangen. So lange hatte die Adaptation noch nie gedauert – normalerweise schlief er nach dem Transit ins Filigrannetz nur zwei, höchstens drei Stunden. Eine weitere Konsequenz der Rekonversion?
    »Wie weit sind wir?«, fragte er.
    »Die Spur wird deutlicher«, sagte der Kommandant, ein birnenförmiger Kirgu, der auf zwei Stummelbeinen und in ein schillerndes Gewand gekleidet durch den großen Raum wankte. Er verharrte nur selten, war ständig in Bewegung, und mehrere Displayfelder mit den wichtigsten Statusanzeigen folgten ihm. »Wir holen zur Barke des Transporters auf.«
    »Haben Sie bereits festgestellt, wohin sie fliegt?«, fragte Tahlon und setzte sich. Ranidi nahm neben ihm Platz, die Kiemen hingen schlaff herab.
    »Oder geflogen ist«, ertönte eine dumpfe Stimme. »Die Spur ist zwei Tage alt. Um Ihre Frage zu beantworten, Präfekt: Nein, noch gibt es keine Navigationstelemetrie; das Ziel der Gramza bleibt unbekannt.«
    Die Stimme kam vom Piloten, der vorn in der Navigationsnische saß. Der wie aufgebläht wirkende haarlose Schädel ruhte in einer Halterung, mit einer halb organischen Nervenverbindung im Nacken. Große, trübe Augen starrten wie blind ins Leere; Mund und Nase waren nur als Andeutungen vorhanden. Einen Geruchssinn kannte der Pilot nicht, und Nahrung nahm er durch die sesselartige Vorrichtung auf, mit der er verwachsen war und die ihn seit mehreren Jahren mit der Concordia verband, seit der Indienststellung des Direktoriatsschiffes. Tahlon wusste, dass er einen Vertrag über zehn Jahre abgeschlossen hatte. Hundert Monate, dachte er. Viertausend Tage. Achtzigtausend Stunden … Er versuchte sich vorzustellen, wie es war, so viel Zeit an einem Ort zu verbringen, als Teil des Schiffes, immer zu wachen, nicht zu schlafen … Es erinnerte ihn zu sehr an die endlose Schufterei in der grauen Welt mit den weißen Stäben und dem Kronleuchter im alten Ballsaal.
    »Präfekt?«, fragte Ranidi besorgt.
    »Bitte zeigen Sie mir den aktuellen Status, Pilot«, sagte Tahlon. Er dämpfte seine Emotionen und schaltete in einen kühlen, rationalen mentalen Modus.
    Über der runden Kommandoinsel mit den Formspeicherkonsolenbuckeln, an denen die drei menschlichen Offiziere saßen, entstand ein fast zehn Meter durchmessendes Displayfeld mit einer schematischen Darstellung des Filigrannetzes, durch das die Concordia flog. Beziehungsweise kroch. Ihre Geschwindigkeit im Tunnelnetz der Filigrane betrug einige Kilometer pro Sekunde, doch in Bezug auf das normale Raum-Zeit-Kontinuum bewegte sich das Direktoriatsschiff mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit, viel schneller als die schnellsten interstellaren Schiffe und Fernerkunder. Tausende von Linien erschienen in dem großen Displayfeld, mit an ihnen entlanggleitenden blinkenden Punkten. Jede Linie war ein Wurmlochtunnel, geschaffen von einem Weber, und jeder blinkende Punkt ein Schiff oder eine Transportkapsel, das eine Abkürzung durch das Filigrannetz nahm.
    Mit bloßem Auge betrachtet hatte das Netz durchaus eine ästhetische Qualität. Die wahre Komplexität erschloss sich Tahlon erst, als er seine Erweiterungen anwies, sich mit den Daten- und Navigationssystemen der Concordia zu verbinden. Die einzelnen Linien, im Displayfeld dünn, schwollen zu dicken, schlauchartigen Gebilden an, die nicht glatt und gerade waren, sondern zerfranst und krumm, an manchen Stellen aufgerissen, an anderen halb verknotet, die Außenflächen rau und wie voller Pusteln und Warzen – in vielen von ihnen gab es Öffnungen zum Normalraum, hinter denen Filigranports warteten, aber manche waren »Stürze«, sackgassenartige Auswölbungen, in die Raumschiffe oder Transportkapseln hineinfallen konnten, wenn sie vom Kurs abkamen. Feine Verästelungen gingen wie dünne Zweige vom dicken Ast des Haupttunnels aus und endeten im Nichts. Andere, nur wenig dickere Verzweigungen bildeten zwischen den Hauptsträngen ein Netz innerhalb des Netzes – nur die geschicktesten und erfahrensten Piloten verstanden es, ein Schiff aus den primären in diese sekundären Tunnel zu steuern.
    Immer wieder zogen Lichter durch das Filigrannetz, in rhythmischen Schüben wie bei der visuellen Darstellung eines Pulsschlags, und als sich Tahlon auf die entsprechenden Datenströme konzentrierte, wurden aus den einzelnen Lichtsignalen goldene und silberne Sinuswellen mit unterschiedlich hohen Wellenbergen und

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