Kinder der Ewigkeit
zweihundert Jahren soll ein Erlauchter so schwer an etwas erkrankt sein, dass seine Unsterblichkeit in Gefahr geriet und er beschloss, Teil der Intelligenz eines Fernerkunders zu werden. Er brach auf, um Filigrane in anderen Galaxien zu finden, und man hörte nie wieder etwas von ihm.« Esebian zuckte die Schultern. »So heißt es jedenfalls.«
»Aber rein theoretisch könnte ein Backup von El'Kalentar existieren, irgendwo in … einer Maschine.«
»Rein theoretisch ja. Aber der praktische Nutzen wäre begrenzt.« Esebian zögerte kurz. »Zumindest für ihn«, fügte er nachdenklich hinzu.
Er hörte, wie die ferne Trommel, die Leandras Herz war, schneller pochte, wie das Blut lauter durch ihre Adern strömte, wie Luft in den Lungen fauchte, als sie tief durchatmete.
»Wenn Erlauchte durch Unfälle ums Leben kommen …«, sagte sie langsam. »Ich meine, selbst ihnen kann etwas zustoßen. Was passiert dann mit ihnen? Könnte ihr Selbst in Maschinen weiterleben, wie das des Unsterblichen, der sich mit dem Fernerkunder auf den Weg machte? Ist das nicht eine Unsterblichkeit, die uns allen offensteht?«
Genügt es zu denken?, fragte sich Esebian und spürte eine Tiefe in Leandras Worten, die ihn überraschte. Genügt es, in Form von Gedanken zu existieren, die als elektrische Impulse durch Metall oder spezielle Verbundstoffe eilen, viel schneller als durch die Synapsen eines organischen Gehirns? Oder ist es nicht vor allem die Unsterblichkeit des – vertrauten – Fleisches, die wir uns wünschen?
Leandra sah ihn an und schien auf eine Antwort zu warten. Was geschieht hinter der Mauer, mit der die Erlauchten ihre Welten umgeben haben?, dachte Esebian. Unfälle passierten. War das der Grund, warum es viele Erlauchte vermieden, ihre mit überlegener Technik ausgestatteten Domizile auf den Hohen Welten zu verlassen? Aber selbst dort konnte es zu Zwischenfällen kommen, die einen Körper so schwer verletzten, dass er starb. Was geschah dann mit dem jahrtausendealten Geist? Gab es irgendwo eine spezielle Maschine, die das Selbst von Erlauchten aufnahm, in dem sie weiterdachten und vielleicht in ihren Erinnerungen weiterlebten? Und wer überwachte diese Maschine, wer hörte das Flüstern und Raunen in ihr? Die Magister?
Esebian hob und senkte den linken Arm. »Ich möchte keine Maschine sein, sondern ein Mensch. Und ich will als Mensch unsterblich werden.«
Leandra berührte die Prothese kurz und zog die Hand dann wieder zurück. »Du hast gesagt, dass Lukas uns helfen kann, auch wenn er schon tot ist.«
»Sein ganzes Netz steht uns zur Verfügung. Damit habe ich nicht gerechnet. Es wird uns eine große Hilfe sein.«
»Sein Netz ?« Leandra lächelte, und dieses Lächeln – schief und unschuldig, vielleicht auch ein wenig naiv – verwandelte sie wieder in die junge, unbedarfte Frau, die angeblich zu den Klerikern unterwegs gewesen war, um dort zu lernen, dem Leben die richtigen Fragen zu stellen. »Ich weiß noch immer nicht, wer oder was Lukas war.«
»Er war einer von jenen, denen der Weg zu den Hohen Welten allein aufgrund ihrer Herkunft verwehrt blieb«, sagte Esebian und blickte nachdenklich zum gewaltigen Wasserfall auf der anderen Seite der Schlucht, ohne ihn zu sehen. »Er kam aus den Gemischten Gebieten, wie wir beide.«
Esebian zögerte kurz. »Recht und Ordnung bestimmen das Leben in den Tausend Tiefen des Direktoriats«, fuhr er dann fort, und es waren Worte, die Lukas damals an ihn gerichtet hatte, als sie Freunde geworden waren. »Die Regeln der Magister garantieren allen Bürgern ein weitgehend sorgenfreies Leben mit kostenlosem Zugang zu den wichtigsten Dingen. Wem das nicht genügt, wer mehr will, der kann sich den in Ausschreibungen präsentierten Projekten widmen, für die Weiterentwicklung der Gesellschaft und das Wohlergehen der Allgemeinheit arbeiten und damit sogenannte Meriten erwerben. Und wer genug Meriten hat, kann sich mit ihnen die Unsterblichkeit kaufen, einen Platz auf den Hohen Welten. Es scheint richtig zu sein: Unsterblich wird, wer es sich verdient hat.«
»Aber es ist nicht richtig, oder?«
»Was ist mit all den Menschen in den Gemischten Gebieten, denen der Weg zur Unsterblichkeit verwehrt bleibt? Ganz gleich, wie sehr sie sich um die Gesellschaft verdient machen, irgendwann müssen sie sterben. Wie kann das richtig sein? Angeblich geht es um genetische Reinheit und um den ›Makel‹, der nur in den Gemischten Gebieten existiert. Der Korrektor, der mir damals auf Dannacker
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