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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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genau vierhundertdreiundneunzig Komma vier Meter über dem Boden befand –, und in den hellen Bereichen bemerkte er ein Wogen und Wabern, wie das Flirren heißer Luft. Er selbst stand im Schatten und beobachtete, wie ein heller Streifen über die Empore wanderte, genau auf ihn zu.
    Eine Hand berührte ihn an der Schulter und zog ihn zurück, tiefer in den Schatten neben einer Tür, hinter der sich ein weiterer gewaltiger Saal erstreckte. Esebian drehte sich um und wurde mit einem Mann in mittleren Jahren konfrontiert, der einen schiefergrauen taillierten Anzug trug, mit bunten Taschen besetzt, die gar nicht dazu passten. Das Gesicht wirkte fast so abgeklärt wie das eines Erlauchten, trotz der Asymmetrie: Das linke Auge war etwas kleiner als das rechte, die Nase ragte ein wenig zur Seite, und die Lippen lächelten schief.
    »Erebos?«, fragte Esebian.
    »Hüte dich vor den hellen Bereichen«, sagte der Brainer. »In ihnen gibt es keine Anonymität.«
    »Wo sind wir hier?«
    »Dies ist ein Teil der interstellaren Datennetze, in denen ich derzeit unterwegs bin«, erklärte Erebos, und das Lächeln auf seinen Lippen wurde noch etwas schiefer. »Was du hier siehst, ist natürlich eine grob vereinfachte Darstellung. Es kann ganz angenehm sein, die Dinge aufs Wesentliche zu reduzieren. Das bewahrt einen davor, abgelenkt zu werden. Ich habe über deinen Vorschlag nachgedacht, Tirrhel eine Falle zu stellen. Komm.«
    Esebian folgte dem Brainer durch eine der Türen in einen Saal, der nicht so groß war wie die Haupthalle, aber doch beeindruckende Maße aufwies. Die Decke war hier etwa zweihundert Meter hoch, und Lichter tanzten wie Sterne in ihrem Halbdunkel. Auch hier lagen und standen Datenträger aller Art in Regalen und Gerüsten. Das zuvor beobachtete Wogen und Wabern verdichtete sich in diesem Raum zu einzelnen Personen: Humanoiden ohne Gesichter, die ausschließlich in den hellen Bereichen unterwegs waren und manchmal mit einzelnen Schritten gleich ein Dutzend Meter zurücklegten.
    »Wer sind diese Leute?«, fragte Esebian und achtete darauf, dass er im Schatten blieb. Immer wieder tasteten Lichtfinger nach ihm, glücklicherweise so langsam, dass ihm Zeit genug blieb, ihnen auszuweichen.
    »Magister«, antwortete Erebos, trat zu einem der Regale und zog ein Buch heraus. »Wir befinden uns hier an einer Stelle, an der es mir vor einigen Jahrzehnten gelungen ist, ihre Datennetze anzuzapfen. Zuerst war dieses Gebäude nicht größer als eine Kathedrale der Kleriker, aber es wächst immer mehr …«
    Esebian bemerkte ein Flimmern auf der gegenüberliegenden Seite des Saals, mehr als dreihundert Meter entfernt – der Raum wurde größer. Mehr Platz an den Wänden mit weiteren Regalen entstand.
    »Du kannst die Magister … belauschen?«, fragte Esebian, sah sich um und beobachtete die vielen Humanoiden. Hunderte von ihnen befanden sich allein in diesem Saal, standen an den Wänden und berührten Datenträger oder gingen mit ihren sonderbar langen Schritten zu anderen Gerüsten, immer im Licht.
    »Ich höre sie und beobachte, wie sie miteinander interagieren, bis zu einem gewissen Grad. Der Inhalt ihrer direkten Gespräche bleibt mir allerdings verborgen …« Erebos neigte den Kopf zur Seite und hob die freie Hand. Esebian lauschte und vernahm ein Zirpen und Klimpern, das trotz seiner akustischen Erweiterungen leise blieb, wie am Rand der Hörweite. Mit etwas Fantasie ließen sich vage Melodien darin erkennen. »Aber manchmal kann ich herausfinden, worüber sie gesprochen haben .«
    Esebian glaubte zu verstehen. »Die Datenträger?«
    »Ja. Die interessantesten von ihnen befinden sich die meiste Zeit über im Licht, und ich muss warten, bis sich eine dunkle Zone der Anonymität dorthin ausdehnt.«
    »Was würde geschehen, wenn du … ins Licht trittst?«
    Das Lächeln verschwand von Erebos' Lippen. »Die Magister würden mich sofort identifizieren und lokalisieren. Und das wäre das Ende von Aurora.«
    Esebian nickte langsam, und sein Blick wanderte erneut durch den Saal. Er versuchte, die Anzahl der Datenträger in den Regalen und Gerüsten zu schätzen, und die visuellen Erweiterungen halfen ihm dabei. Mehr als fünfzig Millionen. Nur einige von ihnen waren analoge Bücher mit einem sehr begrenzten Datenvolumen. Die Datenscheiben und Bibliothekskristalle konnten jeweils den Inhalt aller Bücher in diesem Saal speichern.
    »Hast du so etwas wie einen Index?«, fragte Esebian; er konnte sich kaum vorstellen, wie man in

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