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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Körpersprache und Gestik, in ihren willkürlichen und unwillkürlichen Reaktionen. Und während er sie noch beobachtete, fragte er sich, ob er seinen Beobachtungen überhaupt trauen konnte. Waren seine Sinne manipuliert? Und wie weit gingen die Manipulationen? Konnte er den sensorischen Daten seiner Erweiterungen trauen oder musste er selbst sie in Zweifel ziehen? Wurden vielleicht sogar die eigenen Gedanken und Gefühle zu von Leandra choreografierten Komparsen auf seiner mentalen Bühne? Esebian starrte die junge Frau an, und für einen Moment fühlte er sich fast wie während der schrecklichen Sekunden über Gevedon: dem Ende nahe, ohne Luft zum Atmen, umarmt von tödlicher Kälte und dem hämischen Spott eines Gegners ausgesetzt, den er nicht verstand.
    »Ich habe dir geholfen«, sagte Leandra plötzlich. »Ohne mich hättest du es nicht bis hierher geschafft.«
    Das ließ sich nicht leugnen. Aber Esebian fühlte sich trotzdem in seinem Entschluss bestärkt, Erebos nach Leandra zu fragen. Vielleicht konnte der Brainer feststellen, wer sie war.
    Er versuchte, nicht daran zu denken, als sich Leandra an ihn klammerte und wie ein Kind schluchzte. Und dann, innerhalb weniger Sekunden, veränderte sie sich erneut und versuchte, ihn vom Balkon zum Bett zu ziehen.
    »Nein«, sagte er und löste sich von ihr. »Nein, jetzt nicht. Ich muss nachdenken.« Er ging zur Tür ihres Quartiers. »Du bleibst hier, Leandra. Ich habe Jacinta versprochen, dass du … nichts mehr anstellst. Du bleibst hier und wartest auf mich. Hast du verstanden?«
    Leandra stand enttäuscht da, mit zwei Tränenspuren auf den Wangen, und nickte. Esebian verließ das Quartier, schob mithilfe des kontrollierten mentalen Modus alle Gedanken an die Mentalistin beiseite und begann mit einer Wanderung am Rand der Enklave, in unmittelbarer Nähe des Schirmfelds, hinter dem der Dschungel von Drossos darauf wartete, das zurückzuerobern, was Aurora ihm genommen hatte. Er überlegte, wie er Tirrhel eine Falle stellen konnte. Wenn es ihm gelang, den Erlauchten, der ihn zu dem Mord gezwungen hatte, unter seine Kontrolle zu bringen … Vielleicht ließen sich damit seine beiden größten Probleme lösen: Sicherheit vor den Observanten und Ethikwächtern, indem er wieder ein neues Leben begann, im Schutz einer neuen Identität; und endgültiger Sieg über den Tod. Wenn er Tirrhel in seiner Gewalt hatte, würde er ihn zwingen, ihm sowohl das eine als auch das andere zu ermöglichen. Und dann …
    Esebian hob den Kopf, als er leises Schnattern hörte, und begegnete dem Blick eines Laio, der sich nicht auf der anderen Seite des Schirmfelds befand, sondern direkt vor ihm hockte, nur einen Meter entfernt.
    »Ich warte auf dich«, schnatterte das Geschöpf. »Komm zu mir.«
    Esebian machte sich sofort auf den Weg zu Erebos.

 
43
     
    »Es sind noch keine sieben Stunden vergangen«, zischte der Erste Betreuer Forcade Clar, als sich das Innenschott der Sicherheitsschleuse vor Esebian öffnete.
    »Dieses eine Gespräch noch«, sagte Esebian. »Anschließend verlasse ich Drossos.«
    Der kleine Hybride führte ihn zu einem Instrumentenalkoven, und als er ihm dort eine Kom-Scheibe reichen wollte, ertönte Erebos' Stimme aus dem Artikulator. »Das brauchen wir nicht. Ich schlage eine Immersion vor. Mit deinen Kommunikationserweiterungen dürfte das kein Problem sein.«
    Esebian zögerte, aber nicht länger als eine Sekunde. Mit fremdgesteuerter Immersion setzte er sich einer von Erebos geschaffenen Scheinrealität aus, die vielleicht die Kommunikation zwischen ihnen erleichterte, aber seiner Kontrolle entzogen sein würde. Andererseits konnte er die Verbindung jederzeit mit einer Deaktivierung seiner Kom-Erweiterungen unterbrechen. »Einverstanden.«
    Er wartete, bis Forcade Clar durch die Sicherheitsschleuse nach draußen gegangen war, trat dann zum großen Becken und schloss die Hände ums Geländer. Seine Erweiterungen stellten eine Verbindung mit dem Kom-System her, an das Erebos angeschlossen war, und …
    Er fand sich auf einer Empore wieder, auf einer von Dutzenden, die an der Innenwand eines großen, theaterartigen Saals entlangführten. Die Wandbereiche zwischen den Emporen waren voller Regale, in denen Datenspeicher aller Art ruhten, von kleinen Informationsscheiben über Bibliothekskristalle bis hin zu analogen Büchern. Seltsame Muster aus Licht und Schatten durchzogen den riesigen Raum – die visuellen Erweiterungen teilten Esebian mit, dass sich die Decke

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