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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Schiffe, die einst aus der Großen Magellan'schen Wolke in die Milchstraße gekommen waren, durch die Filigrane ihrer Weber verschwanden. In der Ferne hörte er ihre Stimmen, die ihm etwas zuriefen, und als er glaubte, nur etwas aufmerksamer horchen zu müssen, um einzelne Worte zu verstehen, wurden aus den Stimmen Schreie. Die Erinnerungen und das gefühlte Wissen um die Zusammenhänge, eben noch so klar und deutlich, zerfaserten wie die Bilder eines Traums, und er fand sich vor dem Pavillon wieder. Jemand stand darin, kaum mehr als ein Schemen, vom Licht nicht erreicht. Das änderte sich, als die Gestalt vortrat.
    »Tirrhel«, ächzte Esebian und schwankte, als die Schwäche zurückkehrte.
    »Glauben Sie?« Der Mann lächelte, und das Gesicht mit der dicken Nase, den schmalen Lippen und den auffallend großen Augen veränderte sich. Die dunklen Augen blieben groß, aber die Nase wurde schmaler und die Lippen etwas voller. Pechschwarzes schulterlanges Haar rahmte dieses Gesicht ein, in dessen Stirn sich etwas bewegte, das wie eine kleine Eidechse aussah und aus kupferrotem halb organischem Metall bestand.
    Esebian sah den Mann vor sich, den er auf Hadadd ermordet hatte.

 
54
     
    »Sie schulden mir … Leben«, stieß Esebian hervor. »Unsterblichkeit.«
    »Für was, mein lieber Esebian?«, fragte der Erlauchte und sprach im gleichen Tonfall wie auf Angar. »Vielleicht für einen Mord, der nie geschehen ist?« Er breitete die Arme aus und lächelte. Von der roten Eidechse in seiner Stirn kam ein leises Zischen. »Hier bin ich und lebe.«
    »Ich habe Sie … sterben sehen. Auf Hadadd.«
    »Was wir beobachten und was wirklich geschieht, muss nicht unbedingt identisch sein. Das sollte selbst ein einfacher Sterblicher wie Sie begriffen haben.« Ein kleiner Stift in El'Kalentars Hand zielte auf Esebian. »Es freut mich übrigens, dass Sie doch hierher zu mir gefunden haben. Über hundert Erkundungskapseln habe ich auf der Suche nach Ihnen durchs Labyrinth geschickt, und eine hat Sie genau im richtigen Augenblick gefunden, wie mir scheint.«
    »Sie waren im Lotsenraum«, sagte Esebian und verfluchte seine Schwäche. »Sie hätten Evergreen und ihren Vater retten können.«
    »Sie vergessen den grauen Assistenten und den Biomorph«, erwiderte El'Kalentar. »Oder halten Sie Garbert und Oskar nicht für rettenswert?«
    »Sie sind noch am Leben?«
    »Oh, vielleicht sind sie das. Irgendwo und irgendwann. Wer weiß, wohin die Zeitanomalie sie gebracht hat? Nicht alles, was Sie gesehen haben, ist oder wird geschehen. Die junge Frau, die vor Ihnen auf dem Boden lag … Eine Möglichkeit, mehr nicht.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über El'Kalentars Lippen. »Wenn Sie sich fragen, ob auch ich nur eine Möglichkeit bin, muss ich Sie allerdings enttäuschen.«
    Esebian starrte den Erlauchten im Pavillon an und fühlte sich wie gefangen im geistigen Treibsand zwischen Wirklichkeit und Vision. Bilder überlappten sich: Tirrhel im Haus über den Experimentalseen von Angar, wie er von Esebians früheren Leben als Mörder sprach; El'Kalentar, der ihn für seinen Assistenten hielt und ihm die Hand reichte; El'Kalentar, vom Zellbrand zerfressen. »Aber wie …«, krächzte er.
    »Pseudomaterie und eine von besonders begabten Bioingenieuren geschaffene Kopie meiner Identitätsstruktur«, sagte El'Kalentar. »Mehr als ein gewöhnlicher Klon, weniger als ich. Die Vorbereitungen waren kompliziert und aufwendig, in jeder Hinsicht. Aber ich schätze, es hat sich gelohnt. Selbst die Magister sind darauf hereingefallen.«
    Es fiel Esebian noch immer schwer, zwischen dem aktuellen Geschehen – einschließlich seiner Erinnerungen – und visionären Ausblicken auf andere Ereignisstränge zu unterscheiden. Die Erschöpfung war wie Säure, die seine Gedanken zerfraß. Schwindel erfasste ihn, und er taumelte.
    »Oh, wie ich sehe, geht es Ihnen nicht besonders gut, mein lieber Esebian«, sagte El'Kalentar. »Bitte seien Sie so freundlich, mir noch eine Frage zu beantworten, bevor Sie sterben: Was haben Sie bei der Anomalie gespürt? Und was hat Ihnen der Synchronisator gezeigt?«
    Esebian blinzelte. »Was?«
    »Sie hätten ein Incera-Fachmann werden können«, fuhr El'Kalentar fort, und seine Stimme klang nachdenklich. »Die Gleichungen haben es mir gezeigt.«
    »Gleichungen?«
    »Viele Menschen sprechen vom ›Schicksal‹, obwohl kaum mehr jemand daran glaubt, abgesehen vielleicht von den Klerikalen. Die wenigstens wissen: Es gibt tatsächlich

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