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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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auf den transparenten Sarkophag, in dem ein Insektomorph mit mehrgelenkigen Armen und Beinen ruhte, und niemand von ihnen bewegte sich. Noch immer kam grauer Dunst aus dem Boden, und Esebian sah, dass ein dünner, rankenartiger Ausläufer die Gruppe erreicht hatte.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte Esebian ein kurzes Aufblitzen, drehte den Kopf und glaubte, in der Düsternis hinter den Schwebern eine Erkundungskapsel zu erkennen. Fast im gleichen Moment erschien Titus Magobb in der Luke von Evergreens Schweber und rief: »Ich habe alles gehört! Glaubt ihm kein Wort. Er ist der Verbrecher!«
    Die junge Frau wirbelte herum, aber es waren nicht etwa Magobbs Worte, die sie aufgeschreckt hatten – sie wollte vor der Zeitanomalie fliehen, von der ihr Vater und seine beiden Begleiter erfasst worden waren. Ihr Wirkungsbereich zeigte sich als vages Flirren in der Luft, und sie dehnte sich aus. Esebian beobachtete, wie Magobb wieder im Innern des Schwebers verschwand, und wenige Sekunden später summte der Gravitationsmotor.
    Er lief los, zum Schweber, der die einzige Möglichkeit darstellte, der temporalen Anomalie zu entkommen, und als ihn nur noch zwei oder drei Meter von ihm trennten, stieg der Schweber auf. Esebian sprang, die Hände nach dem Rand der Luke ausgestreckt, aber sie erreichten ihn nicht, und er fiel, prallte schwer auf den Boden. Licht strich über ihn hinweg, der helle Finger eines Scheinwerfers, als der Variform-Schweber schmaler wurde, beschleunigte und durch die schrumpfende Öffnung des Zugangstunnels flog.
    Esebian hob den Kopf und sah Ungeheuer durch den Lotsenraum stapfen, zwischen ihnen Humanoiden in silbernen Schutzanzügen. Blitze zuckten aus Waffen, und Mäuler wurden aufgerissen, zu schmerzerfüllten und wütenden Schreien, aber Esebian hörte nur das immer lauter werdende Knirschen und Knacken der Restrukturierungen des Labyrinths. Er stemmte sich hoch, kam auf die Beine und taumelte fort von der Wand mit den Sarkophagen, die vor Jahrtausenden zum Grab von Lotsen geworden waren, die gehofft hatten, darin die Zukunft zu erreichen.
    Als Esebian zur anderen Seite der Höhle stapfte, durch eine Luft, die sich immer mehr in zähen Brei zu verwandeln schien, sah er in einem schnellen Flackern Szenen fremder Welten und von Schlachten, die vor Äonen unter fernen Sonnen geschlagen worden waren oder vielleicht erst in Jahrmillionen stattfinden würden. Gewaltige Maschinen verdunkelten den Himmel und zermalmten ganze Städte unter sich. Humanoide Gestalten traten wie aus dem Nichts, als sie ihre Tarnanzüge deaktivierten, gingen an Bord von krallenförmigen Raumschiffen oder stapften durch die Ruinen zerstörter Städte. Feuer fiel von dunklen Himmeln, verbrannte blühende Welten, und Esebian wankte mitten durch Chaos und Tod, von beiden unberührt. Ein Turm stürzte wie in Zeitlupe auf ihn herab, aber er trat durch Trümmer und Staub, auf der Suche nach einer Möglichkeit, den Raum mit der Anomalie zu verlassen. Das Flackern der schnell wachsenden Zeitschatten wurde schließlich so verwirrend, dass er die Augen schloss und mit ausgestreckten Armen ging, in der Hoffnung, nicht direkt in einen Bereich außer Rand und Band geratener Zeit zu laufen. Die Beine wurden tonnenschwer, das Vorankommen immer mühsamer, und seine rechte Hand fand den Weg in die Tasche des Therapieumhangs, holte wie selbstgesteuert das Kombiwerkzeug hervor. Der erste Versuch, den Neuroprozessor zu deaktivieren, hatte ihm schier unerträglichen Schmerz beschert, aber er begriff, dass er einen zweiten wagen musste, denn ohne seine Erweiterungen hatte er kaum Aussichten, dies zu überleben.
    Er hob die Lider, um auf die Kontrollen des kleinen Zylinders zu schauen. Statt dessen fiel sein Blick auf die tote Evergreen.
    Sie lag vor ihm auf dem Boden, die Augen groß und grün wie Jade – für einen Moment glaubte er, in Leandras Augen zu sehen, und er blinzelte. Ein blutiger Striemen reichte in Evergreens Gesicht von Stirn bis Kinn. Sie schien einige Jahre älter zu sein, aber Esebian war nicht sicher, denn das Flackern dauerte an, und es fiel ihm schwer, Einzelheiten zu erkennen. Als er über die Schulter zurückblickte, sah er das Flirren der Zeitanomalie direkt hinter sich, wie einen Vorhang aus heißer Luft, und jenseits davon, durch das Wabern verzerrt, den zweiten Schweber, halb von einer breiten Spalte im Boden verschlungen. Eine Gestalt zeichnete sich daneben ab, und zunächst dachte er, dass es sich vielleicht um Thadeus oder

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