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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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die Waffe mit einem Ruck in den Gürtel. »Ich behalte Sie im Auge, Esebian.«
    Sie flogen los.
     
     
    Ein Mond ging auf und brachte genug Licht, um pechschwarze Finsternis in ein diffuses Halbdunkel zu verwandeln, das zwar keine Farben zeigte, aber der Stadt Details gab. Die kantigen Gebäude bestanden nicht aus Stein, sondern aus einem Material mit der Dichte von Synthomasse und der Härte und Widerstandsfähigkeit von Komposit. Fenster und Türen standen wie einladend offen, doch es befand sich niemand im Innern der Häuser. Es war eine leere, tote Stadt, die sich über viele Kilometer vom steil aufragenden Massiv bis hin zum dunklen Herz in ihrer Mitte erstreckte, der Zitadelle, hinter deren Mauern Esebian beim Sturz den Seeder gesehen hatte. In einer Höhe von etwa zehn Metern flogen sie, und mit einer Geschwindigkeit, die nicht über fünfzig oder sechzig Stundenkilometer hinausging. Esebian fragte sich, ob die Drohne deshalb so langsam flog, weil sie möglichst viele Daten sammeln wollte, bevor sie die Bastion erreichten, oder ob sie stärker beschädigt war, als ihr Äußeres vermuten ließ. Wenn Letzteres zutraf, stand es um ihre Situation noch schlechter, als Esebian bisher befürchtet hatte. Das volle Potenzial einer Magisterdrohne gab ihnen gewisse Überlebenschancen – vielleicht fanden sie eine Möglichkeit, die Transitmembran zu reaktivieren und nach Gondal zurückzukehren. Allein konnten sie kaum hoffen, auf dieser unwirtlichen Welt zu überleben, sobald die Energievorräte der Schutzanzüge zur Neige gingen und die Recycler ihre Arbeit einstellten.
    »Weber«, sagte Tahlon nach einer Weile. »Kleine Weber.«
    Esebian hatte die Fäden zwischen den Gebäuden schon eher bemerkt, war aber so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er ihnen erst jetzt volle Aufmerksamkeit schenkte. Ihnen fehlten die prächtigen Farben der Filigrane im All: Silbrig, grau und in einem schmutzigen Braun hingen sie erst einzeln zwischen den Gebäuden, dort, wo sie sich am nächsten standen. Aber je mehr sie sich der Zitadelle näherten, desto größer wurde die Anzahl der Fäden, und erste von ihnen reichten auch über die ebenfalls leeren Straßen und Wege hinweg. Sie wuchsen zu Netzen zusammen, auf denen sich mancherorts eine dünne Schicht aus glitzerndem Raureif gebildet hatte – die ins Helmvisier eingeblendete Thermoanzeige wies Esebian darauf hin, dass die Temperatur bei minus zweiundfünfzig Grad lag. Die ersten Weber waren nur etwas größer als eine Männerhand, die Beine spindeldürr und fast einen Meter lang. Sie hingen an den Verankerungsfäden, meistens in Ecken unter Dächern und Hauswänden, fast immer von einem silbergrauen Kokon umgeben, der zum Teil aus Eis zu bestehen schien. Sie bewegten sich nicht, und Esebian konnte nicht feststellen, ob sie noch lebten – die Sensoren seines Schutzanzugs gaben keine Auskunft darüber.
    Als sie sich der hohen Mauer der Zitadelle bis auf etwa einen Kilometer genähert hatten, wurden die Weber größer, hingen mitten in den Netzen und bewegten sich langsam. Ihre Netze waren komplexer und manchmal so sehr miteinander verwoben, dass sie den Blick auf die leeren Straßen darunter verwehrten. In der Mitte dieser Filigrane bemerkte Esebian kleine dunkle Punkte, und er fragte sich, ob es die Öffnungen winziger Wurmlöcher waren. Was mochte mit dem Planeten geschehen, wenn sie größer wurden?
    Als hätte die Drohne seine Gedanken erraten, summte sie: »Ich registriere zunehmende Instabilität in der Raum-Zeit-Struktur. Und ich stelle energetische Emissionen fest. Einige von ihnen kommen von meinem Seeder.«
    »Können Sie Kontakt mit ihm aufnehmen, Jae?«, fragte Tahlon.
    »Ich habe es versucht, aber er antwortet nicht. Das ist … beunruhigend.«
    Esebian sah zur immensen, dunkel vor ihnen aufragenden Zitadelle, und Unbehagen erfasste ihn. »Vielleicht sollten wir besser auf den Berg zurückkehren und dort nach einer Möglichkeit suchen, die Transitmembran zu reaktivieren. Die Drohne ist beschädigt, und wir sind allein. Selbst wenn wir El'Kalentar und die anderen finden: Was könnten wir gegen sie ausrichten?«
    »Es ist kein Berg«, summte die Drohne.
    Esebian wandte den Kopf zur Seite, und die Systeme des Schutzanzugs reagierten, drehten ihn im Gravitationsfeld der Drohne. Der Berg lag jetzt mehr als zehn Kilometer hinter ihnen und ragte als dunkle Masse vor dem Hintergrund des schwarzen Himmels auf. Grafische Daten erschienen in Esebians Helmvisier, von der Drohne

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