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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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hoch, zogen von rechts nach links, und hinter ihnen zeichnete sich vage eine dunkle Landschaft ab, in der sich keine Einzelheiten erkennen ließen. Die beiden Sonnen, die Esebian gesehen hatte, blieben hinter dem Horizont verborgen.
    »Wir vermuten, dass sich das Ziel auf dem vierten Planeten des Dizadar-Systems befindet«, sagte Tahlon und aktivierte den Formspeicher am Kragen seiner Uniform. Sofort wuchs aus dem Nackenbereich ein Helm über seinen Kopf, ebenso dunkel wie die Uniform. »Die Atmosphäre ist dort sehr dünn und die Schwerkraft etwas geringer«, fuhr der Präfekt fort. Seine Stimme klang ein wenig dumpfer. »In der Region, in der unser Retransfer vermutlich stattfinden wird, sinken die Temperaturen nachts auf bis zu minus siebzig Grad, und tagsüber können sie bis auf plus fünfzig steigen. Diese Schutzanzüge verfügen über eine Autonomie von mehreren Tagen; das sollte genügen.«
    Esebian berührte den Kragen seines eigenen Anzugs, und sofort bildete sich eine schützende Hülle um seinen Kopf. Statusanzeigen erschienen an der Innenseite des Helmvisiers. Er deutete auf die Vari-Waffe an Tahlons Instrumentengürtel. »Ich nehme an, darauf muss ich verzichten, oder?«
    Der Präfekt überhörte die Frage, sah sich noch einmal um und sagte: »Also los, Esebian. Öffnen Sie die Membran für uns.«
    »Und wenn sie sich nur für mich öffnet?«
    »Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen«, sagte Tahlon. »Unsere Noder werden dafür sorgen, dass das energetische Portal offen bleibt, wenn es sich erst einmal geöffnet hat.«
    Noch immer von Ruhe erfüllt und mit einer schlagkräftigen Streitmacht im Rücken trat Esebian vor und näherte sich der Membran. Als ihn nur noch eine Armeslänge von ihr trennte, zögerte er kurz und sah in dem langsamen, trägen Wogen sein verzerrtes Spiegelbild – das Gesicht blieb hinter dem dunklen Visier verborgen.
    »Worauf warten Sie?«, fragte Tahlon ungeduldig. Er stand anderthalb Meter hinter Esebian, den Variator in der rechten Hand. Auch die hundert Gardisten hielten ihre Waffen bereit, und von den insgesamt acht Drohnen kam ein Summen wie von einem Insektenschwarm.
    Esebian streckte die Hand aus und berührte die Membran. Das silbergraue »Wasser« kräuselte sich, und das sensorische Interface vermittelte ein leichtes Prickeln. Er atmete tief durch und trat vor, machte einen Schritt, der ihn über eine sechzehntausend Lichtjahre weite Kluft trug …
    Ein Schrei zerriss Esebians ruhige Gedanken und zerfetzte seine trägen Gefühle, schrillte durch Synapsen und Neuronen: ein wortloses, vielstimmiges Kreischen, das aus der Ferne kam und nicht nur einen Ursprung hatte, sondern viele. Es stammte von Dutzenden namenlosen Welten in der großen Sterneninsel, die viele Menschen noch immer Milchstraße nannten, und auch von Sonnensystemen in der Großen Magellan'schen Wolke. Es schien in der Leere zwischen den Galaxien widerzuhallen. Die Dunkle Materie im großen Nichts vibrierte, und das Quantenrauschen an der Basis allen Existierenden zischte. In dieser einen Sekunde, in diesem Schritt über Lichtjahrtausende hinweg, erfüllte das Heulen nicht nur Esebians Kopf und Bewusstsein, sondern das ganze Universum, von den Mikrostrukturen bis hin zu den größten Elementen. Es zerschmetterte die Ruhe des Mannes, der gerade zu einem Unsterblichen geworden war, und zeigte ihm, was Wahnsinn bedeutete: ein Sturm im Innern, der nie aufhörte, nie Ruhe gab, der jeden noch so kleinen, vorsichtigen Gedanken zerfetzte.
    Ein Schritt, ein Stolpern, und als Esebian fiel und von Dunkelheit umgeben über staubigen Boden kullerte, begriff er instinktiv, was mit El'Hantor und den anderen Erlauchten geschehen war. Sie hatten den Schrei, das infernalische Kreischen, ebenfalls gehört, aber nicht nur einmal, sondern viele Male, und schließlich hatte es ihnen den Verstand geraubt. War es der Schrei des Weberkinds, das letzte verzweifelte Heulen, das es in die von ihm gesponnenen Filigranverbindungen geleitet hatte, wo es Tausende von Echos warf? Oder, fragte sich Esebian, war es der Schrei der Incera, die El'Kalentar auf der Alten Erde getötet hatte, um sich in den Besitz von … was zu bringen, um … was zu erreichen?
    Andere Schreie erklangen, nicht zu vergleichen mit dem ersten, der ein Gefühl der Taubheit in Esebian hinterlassen hatte. Sie stammten aus den Kehlen von Menschen, berichteten von individuellem Schmerz, von Tod. Esebian konnte die Rollbewegung noch immer nicht stoppen, sah vor

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