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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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plötzlich erinnerte. »Es ist mit ihm verbunden. Wenn er stirbt, wird es aktiv.«
    Die Frau mit dem roten und orangefarbenen Haarturm winkte den Gardisten zu. »Wir kümmern uns um alles, El'Esebian. Bei uns sind Sie gut aufgehoben. Sie werden sehen, staunen und schließlich verstehen. Kommen Sie, ich begleite Sie bei Ihren ersten Schritten in die Ewigkeit.« Ihre Hand schloss sich sanft um seinen Arm, und sie führte ihn fort von der Drohne und dem verletzten Tahlon.
     
     
    Esebian saß auf einer Behandlungsliege und fragte sich, ob er ein Gefangener war oder ihn die Erlauchten wirklich für einen der ihren hielten. Was um ihn herum geschah, hatte oft etwas Traumartiges und Unwirkliches. Die Gardisten, denen er begegnet war, brachten ihm großen, fast unterwürfigen Respekt entgegen, und keiner der Unsterblichen behandelte ihn mit der Herablassung, die er während seines Lebens als Sterblicher über viele Jahrzehnte hinweg erlebt hatte. Besonders erstaunlich fand er, dass ihn niemand von ihnen auf sein früheres Leben ansprach. Er war ein Mörder; daran ließ sich nichts ändern. Er hatte getötet, um Meriten für die Aufstiege zu verdienen, war mehr als zwei Jahrhunderte lang Teil einer Schattenwelt jenseits des Gesetzes gewesen. Vor zwanzig Jahren hatte er einen Schlussstrich gezogen und war als Esebian in das Universum der von den Magistern bestimmten Regeln zurückgekehrt. Er hatte an Reife gewonnen und projizierte die früheren Abschnitte seines Lebens nicht mehr als eigenständige Personen, sondern als Teile der eigenen, vielschichtigen Existenz, ob sie ihm gefielen oder nicht. Aber so sehr er auch bedauerte, was er getan hatte, so sehr er bereute, damals dem Gesang des Messers erlegen zu sein, durch den er zu einem vielfachen Mörder geworden war: Es änderte nichts daran, dass ein ganzer Berg aus Schuld auf ihm lastete. Für die Unsterblichen hingegen schien all das keine Rolle zu spielen. Sie behandelten ihn wie jemanden, dessen Leben mit dem letzten Aufstieg zum Erlauchten begonnen hatte. Und vielleicht stimmte das auch, dachte Esebian, als er das Hemd überstreifte und den Haftsaum schloss. Vielleicht begann jetzt das richtige Leben, unendlich lang. Wie seltsam, sich das vorzustellen, wenn man über viele Jahre hinweg immer wieder an den Tod gedacht hatte. Ein Leben ohne Ende …
    »Hier haben wir es, Exzellenz«, sagte der Arzt, und Esebian begriff erst nach ein oder zwei Sekunden, dass er gemeint war. Er hob den Kopf und sah den Mann an, der auf ihn zutrat: etwa sechzig Scheinjahre alt, das Haar schütter, das Gesicht breit und fleischig. Er hob ein kleines, transparentes Gefäß, das klare Flüssigkeit enthielt, und darin schwamm ein dunkles Objekt mit einem Durchmesser von nicht einmal einem halben Zentimeter. »Das Implantat, das Ihnen der Präfekt bei der letzten Therapie einsetzen ließ.«
    »Was hätte es mit mir gemacht?«
    »Es hätte einen physiomentalen Schock bewirkt, Exzellenz«, erwiderte der Arzt. »Sie wären handlungsunfähig geworden.«
    »Auf Dauer?«
    Der Arzt sah ihn an, und in seinen Augen erkannte Esebian Respekt und sogar Ehrfurcht. Dieser Mann gehörte nicht zu den Unsterblichen; das Symbol an seinem Kragen wies ihn als einen Kandidaten der dritten Stufe aus, einen Doyen. »Nein, nicht auf Dauer, Exzellenz. Ihr neuer Körper verfügt über ausgeprägte Selbstheilungskräfte. Nach einigen Wochen oder spätestens Monaten hätten Sie sich erholt.«
    Esebian musterte den Mann. »Was machen Sie hier?«
    »Exzellenz?«
    »Ich meine, was machen Sie hier auf diesem Planeten bei … El'Kalentar und den anderen?«
    »Meriten«, sagte der Doyen, und hinter Respekt und Ehrfurcht in seinen Augen sah Esebian Hoffnung und Sehnsucht. Er kannte dieses Empfinden. Es hatte ihn selbst über mehr als zwei Jahrhunderte begleitet. »Für meine Dienste an diesem Ort bekomme ich mehr Meriten, als ich im Direktoriat verdienen könnte.«
    Es ist nicht der Gesang des Messers, den dieser Mann gehört hat, dachte Esebian, stand auf und stopfte sich das Hemd in die Hose. Aber auch er hat den Weg der Regeln verlassen. »Wie geht es Tahlon? Wo ist er?«
    »Wir haben ihn in der Regeneration untergebracht, aber sein Zustand ist kritisch. Auch deshalb, weil er erst vor kurzer Zeit rekonvertiert wurde.«
    »Gibt es noch einen anderen Grund?«
    »Ja, Exzellenz. Er scheint nicht mehr leben zu wollen.«
    »Wo ist er?«, wiederholte Esebian.
    Der Arzt zögerte und sah auf das aus Esebians Großhirnrinde stammende

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