Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
seinem Visier mal den staubigen Boden und mal einen dunklen Himmel. Etwas, das er für einen Felsen hielt, erschien rechts von ihm, und er klammerte sich daran fest. Weiter oben am langgestreckten Hang flackerte die Transitmembran, als stünde sie in Flammen, umgeben von etwas, das vielleicht einmal ein großes Gebäude gewesen war – es sah aus wie von mehreren Schlägen eines riesigen Hammers getroffen. Brennende Gestalten kamen aus der Membran, durch feurige Nabelschnüre mit ihr verbunden. Es waren nicht viele, nur sechs oder sieben, und sie versuchten, sich gegenseitig zu helfen, aber was sie verbrannte, war kein normales Feuer, das sich mit rekonfigurierten Schirmfeldern bekämpfen ließ. Die Schreie der Sterbenden ertönten aus Esebians Helmkommunikator, und er beobachtete, wie die Grauen, die lebenden Toten der Ehernen Garde, zu Asche zerfielen.
    »Tahlon?«, fragte Esebian, und seine Stimme krächzte wieder. »Hören Sie mich?«
    Ihm antworteten nur die Schreie der Sterbenden.
    Esebian zog sich an dem Felsen hoch und beobachtete, wie der letzte Gardist zusammenbrach, wie der Schutzanzug von ihm abblätterte und der graue Körper darin zu grauer Asche zerfiel. Glühende Finger zogen sich in die Transitmembran zurück, und sie flackerte ein letztes Mal, fiel dann in sich zusammen. Einige Sekunden lang leuchtete ein kleines Licht dicht über dem Boden und blinkte mehrmals, wie das Blinzeln eines Auges, und dann verschwand es ebenfalls.
    Wind fauchte aus der Dunkelheit, wirbelte Staub auf, und für einen Moment glaubte Esebian, die Umrisse einer Gestalt zu sehen, nur einige Meter von der Stelle entfernt, wo sich die Transitmembran befunden hatte. Er zögerte nicht, ließ den Felsen los und machte einen Schritt, nicht über Tausende von Lichtjahren hinweg, sondern in Richtung des Überlebenden. Aber er kam nur diesen einen Schritt weit.
    Die Atmosphäre des Planeten war dünn, hatte Tahlon gesagt, und die Sensoren des Schutzanzugs bestätigten dies. Aber auch dünnes Gas konnte erhebliche kinetische Kraft entfalten, wenn es sich mit hoher Geschwindigkeit bewegte, und außerdem war Esebian nicht auf den plötzlichen Windstoß vorbereitet.
    Eine Bö riss ihn von den Beinen, und er streckte die Hände aus, um den erwarteten Aufprall abzufangen, der jedoch ausblieb. Der Wind packte ihn und warf ihn zur Seite, und plötzlich war der Boden unter ihm verschwunden. Von einem anderen Heulen begleitet stürzte er in die Tiefe, vorbei an einer vertikalen Felswand, und die Gravanker seines Schutzanzugs, mit denen sich der Sturz abfangen ließ, funktionierten nicht.

 
63
     
    Das Heulen, begriff Esebian nach einigen Sekunden, stammte nicht nur vom Wind, weitergeleitet von den akustischen Sensoren, sondern kam auch aus seinem Mund. Angst sprang ihn an wie ein wildes Tier, das ihm seine Krallen in die Seele schlug. Seit einem Tag war er unsterblich, und vor ihm erstreckten sich Welten ohne Horizonte, nicht von Zeit begrenzt, und jetzt sollte er sterben, zerschmettert am Boden dieses Abgrunds?
    Mit einem Rest von klarem Verstand versuchte er erneut, die Gravanker zu aktivieren, aber auch diesmal entstand kein Kraftfeld, das ihn in der leeren Luft festhielt oder wenigstens langsamer fallen ließ. Reiner Instinkt veranlasste ihn, seinen Erweiterungen gedankliche Befehle zu schicken, doch sie reagierten nicht, keine von ihnen – Tahlon hatte sie während der beiden Therapien deaktivieren und einige sogar ganz aus ihm entfernen lassen. Als er nach zehn Sekunden noch lebte und den größten Teil der Panik aus sich herausgeschrien hatte, zog das Tier die Krallen aus dem Kern seines Selbst. Die Angst hörte nicht auf, aber sie wich ein wenig zurück, weit genug, um klare Gedanken zu ermöglichen. Esebian erinnerte sich an Tahlons Hinweis darauf, dass die Schwerkraft auf diesem Planeten niedriger war, was bedeutete: Er fiel nicht ganz so schnell, aber vermutlich immer noch schnell genug für einen tödlichen Aufprall. Rasch kontrollierte er die Systeme des Schutzanzugs und suchte nach einer Möglichkeit, den Fall abzubremsen. Mit beiden Händen griff er nach den Kontrollen am Instrumentengürtel, doch dadurch geriet er ins Trudeln. Sofort breitete er die Arme wieder aus und nutzte den Luftwiderstand, um sich in eine einigermaßen stabile Lage zu bringen.
    Und dann schälte sich die Landschaft tief unten plötzlich aus der Nacht.
    Es war nicht das Licht der Sterne, das den Schleier der Finsternis zerriss, sondern die visuellen

Weitere Kostenlose Bücher