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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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warum er ausgerechnet damit begann. Seit dem letzten Aufstieg hatten ihn die eigenen Gedanken mehrmals überrascht. Unter der Oberfläche seines Bewusstseins schien es ständig zu brodeln, und manchmal stieg etwas auf, das Ergebnis komplexer unterbewusster Verarbeitungsprozesse war. »Beim Schritt durch die Transitmembran habe ich einen schrecklichen Schrei gehört. Oder viele Schreie.«
    El'Farah nickte, während sie durch einen Korridor tief unter der Zitadelle gingen. Das Geräusch ihrer Schritte hallte von dunklen Wänden wider. Einige Graue wichen vor ihnen beiseite und verneigten sich, als sie vorbeikamen. »Es sind die Schreie der Incera, die vor einigen Jahrhunderttausenden bei der Katastrophe starben, die sie fast völlig ausgerottet hat. Soweit wir wissen, haben nur wenige überlebt und sind geflohen. Ihre Nachkommen vergaßen vielleicht das Erbe ihrer Vorfahren.« Die Unsterbliche deutete auf die Wände und meinte mit ihrer Geste die Zitadelle. »Einige von ihnen kamen zur Erde, als sich El'Kalentar dort befand. Sie brachten ihn auf die Idee. Besser gesagt: Sie füllten einige letzte Lücken in einem Plan, der damals Gestalt annahm. Wie dem auch sei, El'Esebian … Seien Sie froh, dass Sie die Schreie nur einmal gehört haben. El'Hantor und die anderen drei hörten sie viele Jahrzehnte lang, als sie ziellos durch das leere Netz der Incera unterwegs waren.«
    »Das hat sie um den Verstand gebracht, nicht wahr?«, fragte Esebian, als sie eine Art Hangar erreichten. Mehrere mit Gravitationsmotoren ausgestattete Kugeln ruhten auf Schwerkraftkissen, und El'Farah hielt auf eine von ihnen zu. Zwei Techniker hatten sie bereits vorbereitet, verbeugten sich und öffneten die Luke. Die Erlauchte nickte und schickte sie mit einem Wink fort.
    »Ja«, sagte sie. »El'Hantor und die anderen erschienen schließlich auf Kellupkia, ohne ihr Gedächtnis. Aber ich nehme an, das wissen Sie bereits. Sie fanden einen Weg zurück in das von uns genutzte Filigrannetz, das nur Teil eines viel größeren Netzes ist. Wir sind noch immer dabei, wichtige Querverbindungen zu schaffen, und manchmal lässt dabei die Synchronisation zu wünschen übrig, wie bei der zu schnell und zu hastig versiegelten Transitmembran. Aber die Synchronisation ist ohnehin ein Problem, wie Ihnen ebenfalls bekannt sein dürfte. Immerhin waren Sie im Labyrinth auf Lahor.«
    So faszinierend die Incera und ihre Hinterlassenschaften auch waren – Esebian erhoffte sich vor allem Aufschluss über die Dinge, die ihn betrafen. »Warum der Mord?«, fragte er, als sie einstiegen. Er wusste noch immer nicht, wohin die Reise ging und was El'Farah ihm zeigen wollte. »Warum der fingierte Mord? Warum bekam ich den Auftrag, El'Kalentar zu töten?«
    In der Mitte der Kugel nahmen sie vor virtuellen Kontrollen Platz, und das Stahlkomposit vor ihnen wurde transparent, verwandelte sich in ein breites Fenster. El'Farah betätigte die Kontrollen, und die Kugel setzte sich in Bewegung. Sie schwebte durch den Hangar, erreichte eine Öffnung im Boden und fiel.
    »Sind Sie jemals in El'Kalentars Domizil gewesen?«, fragte die Unsterbliche. »Haben Sie dort seinen Steingarten gesehen?« Als Esebian den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Die Magister haben etwas, das sie Algo-Stochastik nennen. Eine Art mathematisch präzise Vorausberechnung künftiger Ereignisse. Es sind überaus komplexe Rechenmuster, die die Wellenfunktion aus der Quantenmechanik auf die Makrowelt übertragen.«
    »Ich weiß davon«, sagte Esebian.
    El'Farah warf ihm einen kurzen Blick zu, konzentrierte sich dann wieder auf die Steuerung der Kugel. »Kompliziertheit und damit auch Präzision der Abstraktionsschichten bei dieser speziellen Art von Wahrscheinlichkeitsrechnung nehmen exponentiell zu, und die Magister sind inzwischen bei der vierundzwanzigsten Stufe angelangt. Unsere besten Brainer schaffen es nur bis zur ersten, und das gilt auch für Erebos, den Sie sicher kennen.«
    Offenbar zeigte sich etwas in Esebians Gesicht, denn El'Farah lächelte. »Oh, wir wissen von ihm, ja. Und natürlich auch vom Netzwerk, von ›Aurora‹, wie es sich nennt. Bei einigen Gelegenheiten haben wir anonyme Hilfe geleistet. Um die Magister abzulenken. Nun, als wir die ersten Seeder entführten und ihr Potenzial zu nutzen begannen, konnten wir höhere Abstraktionsschichten erreichen und deutlicher in die Zukunft sehen. El'Kalentar erkannte eine Möglichkeit, die Ereignisse zu beschleunigen: durch seinen Tod. Die Algo-Stochastik

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