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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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die Kugel den horizontalen Tunnel erreichte. »Ruhen Sie sich aus. Morgen brechen wir auf und schicken die Woge durch die Filigrane.«
     
     
    Und so darf die trübe Seele
    Hier nur im Vorübergehen
    Durch getrübte Gläser sehen.

 
DER ABGRUND
     

 
65
     
    Esebian fand keine Ruhe. Angetrieben von rastlosen Gedanken, die vielleicht nicht alle von ihm selbst stammten, wanderte er tief unter der Zitadelle durch Gänge und Korridore und achtete kaum auf die Personen, denen er unterwegs begegnete. Er dachte über sein Leben nach, das alte wie das neue. Nach zweihundertdreiundfünfzig Jahren hatte er sein Ziel erreicht, die Unsterblichkeit. Sein größter Wunsch war in Erfüllung gegangen, und doch tief in seinem Innern fühlte er eine Leere, deren Existenz ihm erst jetzt, nach Erreichen des Ziels, richtig bewusst wurde. Die Suche nach Antworten führte ihn zurück zur Behandlungsstation, in der Akir Tahlon noch immer in seinem Rekonvaleszenztank lag. Als er dort ins blasse, hohlwangige Gesicht des Präfekten sah, öffnete Tahlon die Augen.
    »Sie«, ächzte er, und das leise Summen der Überwachungsgeräte veränderte sich. »Dass ich ausgerechnet Sie sehen muss, wenn ich sterbe … Es ist die letzte bittere Ironie meines Lebens.«
    Esebian suchte nach Worten. »Es tut mir leid.«
    »Was tut Ihnen leid?« Tahlons Stimme klang jetzt überraschend klar. »Dass ich sterbe?«
    »Ich meine …« Esebian wandte sich halb ab. »Ich hole den Arzt.«
    »Nein, warten Sie!«, stieß Tahlon hervor, und vielleicht hätte er eine Hand gehoben, wenn er dazu imstande gewesen wäre. Aber die Arme lagen unter der gewölbten Haube des Tanks, nicht mehr in milchiger Flüssigkeit, sondern in einem halb durchsichtigen Gel. »Der Arzt … ich habe ihm mehrmals gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Ich …« Tahlon ächzte leise, und der letzte Rest von Farbe wich aus seinem Gesicht. »Aber der verdammte Kerl tut alles, um … um mich am Leben zu erhalten.« Ein fiebriger Blick richtete sich auf Esebian. »Mein ganzes Leben habe ich mich für die Regeln eingesetzt, für die Ordnung der Magister, für das Gesetz, und hier … liege ich, sterblich und sterbend, während Sie, ein Mörder, vor mir stehen, genesen und unsterblich. Wenn es so etwas wie Gerechtigkeit gäbe …« Er hustete, und die ganze Gelmasse erbebte. »Aber hier existiert keine. Denn es gibt nur so viel Gerechtigkeit, wie wir selbst schaffen. Schalten Sie … die Geräte aus, Esebian. Sie sind ein Mörder, es sollte Ihnen leichtfallen. Was macht es schon, wenn Sie noch ein Leben auslöschen, das ohnehin zu Ende geht? Lassen Sie mich sterben, verdammt! Und keine Rekonversion. Ich will nicht zurückkehren ins Leben …«
    Esebian wandte sich von Tahlon ab und sah kurz zu den Geräten, an die der Präfekt angeschlossen war, ging dann zur Tür. Seine Schritte waren schwer, als lastete etwas auf ihm.
    Als er die Tür öffnete, veränderte sich erneut das Summen der Überwachungsgeräte. Er drehte sich um und sah, dass die Indikatoren in den Displayfeldern sich den Nullmarken näherten. Er konnte Tahlon im Tank nicht sehen, und dafür war er dankbar, denn so blieb ihm ein Blick auf den Tod erspart.
     
     
    Esebian setzte seine unruhige Wanderung fort, ohne Antworten auf die Fragen zu finden, die er noch nicht einmal richtig formulieren konnte. Mehrmals sah er vor dem inneren Auge dunkle Ungetüme, die aus instabilen, in Zeit und Raum fluktuierenden Transittunneln kamen: Angreifer aus anderen Epochen oder vielleicht fernen Galaxien. Er hatte sie selbst gesehen, beim Flug nach Lahor, und er fragte sich, was geschehen würde, wenn nicht nur einige wenige Filigrane betroffen waren, sondern das ganze Netz.
    Schließlich erreichte er einen Raum mit Maschinenteilen, Geräten und Ausrüstungsmaterial, und auf der einen Seite standen die Reste der Drohne.
    Langsam ging er um sie herum, betrachtete die aufgeplatzten, geborstenen Stellen des ovalen Körpers aus Metall und Komposit und fragte sich, was der Tod für Magister und ihre Drohnen bedeutete. Als er vorn stehen blieb, traf ihn plötzlich ein Licht im rechten Auge. Er blinzelte überrascht und sah zu den Leuchtelementen an der Decke, aber das Licht, das ihn kurz geblendet hatte, stammte nicht von ihnen. Verwundert neigte er den Kopf, trat dann einige Schritte zur Seite und beobachtete die Drohne aufmerksam.
    In einem Riss blitzte es, und das Licht kehrte zurück, traf erneut sein rechtes Auge. Kohärenter Laser, dachte er. Das

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