Kinder der Ewigkeit
ich konnte, erinnerst du dich?«
Ja, er erinnert sich. Eine Weile stehen sie da, nah und warm, und dann dreht Leandra den Kopf. »Die Stahlblenden an den Fenstern … Ich habe versucht, sie zu lösen.«
»Wir könnten sie jetzt bewegen«, erwidert Esebian und folgt ihrem Blick. Er ist sich ganz sicher: Die Blenden sitzen nicht mehr unverrückbarfest wie bei seinem letzten Aufenthalt an diesem Ort. Er wäre in der Lage, sie mühelos beiseitezuschieben und hinauszusehen, in die Welt seines neuen Lebens. Denn das liegt hinter den Fenstern: sein unsterbliches Leben. »Doch vorher müssen wir zurück.«
Esebian sieht noch einmal zur Flamme des Lebens, die flackert, obwohl niemand die Luft in ihrer Nähe bewegt hat. Ein Projektil in der anderen Welt genügt, um ihr Licht zu löschen.
Er schließt die Augen. Dies ist sein Ort. Er kennt den Weg …
Esebian öffnete sie in einem zweiten Moment des Verharrens, eingequetscht zwischen den Sekunden. Dort stand El'Kalentar, sechstausendvierhundert Jahre alt, mit einer Waffe in der Hand, an deren Mündung das Licht des Todes glühte – er hatte gerade den Auslöser betätigt, und die Spitze des Projektils zeigte sich im erstarrten Gleißen. Er blickte in die Augen des Unsterblichen, sah dort eine andere Art von Abgrund und glaubte, El'Kalentars Stimme zu hören: Jeder Mord, den Sie begangen haben, war wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Es entstanden Lücken an den richtigen Stellen in der Ereignisstruktur.
Das Licht an der Mündung wurde heller, und das Projektil kroch ganz aus dem Lauf. Es schnitt durch die Luft, erzeugte dabei eine kleine Bugwelle aus verdrängten Gasmolekülen.
Esebian hielt noch immer das grauschwarze Kästchen in der Hand und ließ es nicht einfach fallen, als er den Oberkörper nach links neigte, dann auch das linke Bein bewegte und zur Seite trat, viel schneller als das langsame Projektil. Die Hand schob das Artefakt von Lahor zurück in die Tasche, und dann war der Schritt vollendet, der ihn aus der Schusslinie brachte – die beiden Zeitströme vereinten sich wieder. Esebian hörte das Echo des Schusses, und noch im Fallen sah er aus dem Augenwinkel Verblüffung in El'Kalentars Augen. Der Erlauchte schwang die Waffe herum, kam aber nicht dazu, erneut damit zu zielen, denn plötzlich verwandelte sich sein Gesicht in eine schmerzverzerrte Grimasse. Er ließ den Variator fallen, hob beide Hände, presste sie an den Kopf und öffnete den Mund zu einem Schrei, der seine Kehle jedoch nur als dumpfes Röcheln verließ.
Leandra rauschte mit wehendem Haar – es war jetzt wieder blond – an Esebian vorbei, blieb neben dem zu Boden gesunkenen El'Kalentar stehen und starrte auf ihn hinab. »Er war böse«, sagte sie. »Ich habe es deutlich gespürt. Er war böse. Er wollte dich töten.«
Esebian war inzwischen wieder aufgestanden, trat näher, bückte sich und nahm die Waffe. Er überprüfte sie kurz, betrachtete dann den reglosen Erlauchten. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund lag er da, das Gesicht noch immer eine Grimasse. Das kupferrote Eidechsenwesen in seiner Stirn verfärbte sich; es war jetzt ebenso leblos wie die Stirn, in der es steckte.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte Esebian leise.
»Ich …« Ein oder zwei Sekunden stand Leandra wie erschrocken da, den Mund fast ebenso weit offen wie El'Kalentar. »Ich wollte ihn nicht töten. Ich wollte nur … Er sollte nicht noch einmal auf dich schießen.«
Esebian warf einen kurzen Blick zur Tür. Niemand eilte durch den Korridor dahinter; sie waren noch immer allein.
»Ich habe es Lukas versprochen«, sagte er mehr zu sich selbst und sah noch einmal auf den Toten hinab. »Ich habe es ihm versprochen, als er starb.« Und er hat mich dafür bezahlt, dachte Esebian. Der Tod seines Mörders für das Erbe. Aber es war ein anderer Esebian gewesen, der den Auftrag entgegengenommen hatte, noch unvollständig, noch ohne das letzte Stadium der Reife.
Eine weitere Erkenntnis stieg aus dem Brodeln unter der Oberfläche des Bewusstseins. Die Bürde der Schuld, die er mit sich trug, wohin er auch ging … Es gab nur eine Möglichkeit, sich von ihr zu befreien. Innerlich hatte er einen Schlussstrich gezogen und beschlossen, kein Mörder mehr zu sein, aber ein solcher Entschluss allein reichte nicht. Sein früheres Leben als Sterblicher erforderte einen Akt der Sühne, wenn ihm auf dem neuen Weg als Unsterblicher nicht die Schatten der Vergangenheit folgen sollten. Er musste
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