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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Nirgends glänzte das Silbergrau der Membran, die sechzehntausend Lichtjahre auf einen Schritt reduzierte, und Esebian konnte keine Kontrollmechanismen erkennen.
    Der Boden unter ihm, das alte Saatschiff, erbebte plötzlich so heftig, dass er das Gleichgewicht verlor und fiel. Als er wieder auf die Beine kam, wankte Leandra aus der Dunkelheit heran. Ihr Gesicht war fast so weiß wie der Raureif, der sich an ihren Brauen und am Kinn gebildet hatte.
    »Es tut mir leid«, stieß sie hervor, und der Wind riss ihr den kondensierenden Atem von den Lippen. »Ich wollte, dass es langsam geschieht …«
    »Was?«
    Das Beben wiederholte sich, und es folgten weitere Erschütterungen. Esebian hörte ein Grollen, das schnell zu einem Donnern anschwoll, und plötzlich wurde ihm klar, dass unter ihnen eine schnelle Kettenreaktion begonnen hatte – eine nukleare Explosion stand bevor.
    Vor dem Gebirge, das ein Raumschiff war, im Zentrum der leeren, toten Stadt, schimmerten Lichter bei der Zitadelle der Incera, und eine Kuppel aus amethystblauer Energie legte sich über die Gebäude der alten Bastion. El'Farah und die anderen Unsterblichen hatten ganz offensichtlich erkannt, dass ein atomarer Feuersturm drohte.
    Esebian zog die taumelnde Leandra zu sich und deutete in die Runde. »Kannst du hier irgendwo Kontrollen entdecken?«, rief er im Heulen des Winds.
    Er wankte mit der Mentalistin an seiner Seite zwischen den Trümmern des Gebäudes umher, während die Erschütterungen so heftig wurden, dass sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnten. Esebian prallte gegen einen Felsen, und dabei spürte er einen Gegenstand in der Hosentasche. Eine Sekunde später hielt er ihn in der Hand und fragte sich, was mit ihnen geschehen würde, wenn sie sich während der nuklearen Explosion in der Möbiusschleife befanden. Aber selbst wenn sie irgendwie in der Raum-Zeit-Schleife überlebten, trotz der Zerstörung des Artefakts von Lahor … Wer sollte sie aus jenem Miniaturuniversum herausholen, wenn es kein Gerät mehr gab, das die Möbiusschleife öffnen konnte?
    Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke. Die Transitweiche! Irgendwo zwischen den Trümmern des alten Gebäudes musste sich ein spezieller Transferitor verbergen, verbunden mit dem Filigran, das der tote Weber auf Gondal gesponnen hatte. Vermutlich wartete er auf ein Aktivierungssignal.
    Einige hundert Meter entfernt brach die felsige Landschaft auf, und Flammenzungen leckten durch die Nacht.
    Esebian aktivierte die Transitweiche.
    Zwei oder drei Sekunden geschah gar nichts. Dann bildete sich nur wenige Meter entfernt eine silbergraue Wand wie aus senkrechtem Wasser, durchzogen von langsamen Wellen. Hinter ihr zeichneten sich die Silhouetten menschlicher Gestalten ab, und noch etwas Größeres – Drohnen?
    Das Saatschiff der Incera, das seit Jahrtausenden in der Kruste des Planeten steckte, platzte auseinander, verzehrt von atomarer Glut. Aus den einzelnen Flammen wurde eine Feuerwalze, die sich über die Felsenlandschaft schob und alles verbrannte.
    Esebian packte Leandra, zerrte sie mit sich und sprang durch die Membran, als das Feuer herankam.
    Incera-Schreie zerrissen seine Gedanken und trugen ihn fort, aber nicht nach Gondal.

 
67
     
    Das Nichts zwischen den Galaxien ist noch leerer als das zwischen den Sternen, aber diese Station zwischen der Milchstraße und der Großen Magellan'schen Wolke schwebt in der Nähe der Wasserstoffbrücke, die beide Galaxien wie eine Nabelschnur miteinander verbindet. Fast hunderttausend Lichtjahre trennen sie vom großen Feuerrad und ungefähr sechzigtausend von der kleineren Sterneninsel. Ein aufmerksamer Beobachter in der Nähe hätte selbst mit empfindlichen Sensoren nichts entdeckt außer dem dünnen Wasserstoffgas – einige Dutzend Atome pro Kubikmeter – und den Strahlungssignaturen der beiden Galaxien, ihren Gesängen, die sie seit Jahrmilliarden ins Universum schicken. Denn die Station ist getarnt: In gefalteter Raum-Zeit geschützt vor Entdeckung durch den alten Feind, dreht sie sich langsam um die eigene Achse, einem Bewegungsimpuls folgend, den sie vor vierhundertachtzigtausend Jahren erhalten hat. Seit vierhundertachtzig Jahrtausenden wartet sie, nicht auf den Feind, sondern auf ein Signal, auf das Zeichen dafür, dass das Warten ein Ende hat. Als es schließlich eintrifft, ist vom Leben an Bord nur noch ein kleiner Rest übrig.
     
     
    Als der Schläfer erwachte, streckte er seine vier Beine im Kokon und hoffte, dass er diesmal

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