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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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hinwies, dass die Kraftreserven erneuert werden mussten. Das Klacken seiner Schritte hallte wie ein Trommelschlag durch die Station, und abgesehen davon schien es nur ein anderes Geräusch zu geben: das rasende Pochen seiner beiden Herzen, eins für jede halb autarke Körperhälfte. In den Ruhekammern hörte er nur die Stille des ewigen Schlafs und betrachtete in den Kokons reglose Geschwister, die nie erwachen, nie mit ihm sprechen würden. Er heulte voller Kummer, und gleichzeitig fragte er sich, was er an diesem Ort machte, den er nicht kannte, in einem Körper, der völlig falsch war. In einem Bogengang blieb er stehen und blickte auf seine Hände hinab, die keine Hände waren, sondern Greifklauen. Er drehte sie langsam, betrachtete sie von allen Seiten, ohne dass sie ihm vertrauter erschienen.
    »Was ist mit mir?«, fragte er leise. Und etwas lauter: »Was ist mit der Station? Was ist geschehen? «
    »Der letzte Schwarm brach vor fünfundneunzigtausend Jahren durch den einen übrig gebliebenen Tunnel auf«, antwortete der Sekundant, der ihm gefolgt war. Er sah wie ein kleiner Weber aus, dachte der Namenlose, und dann fragte er sich, was ein »Weber« war. »Außer uns ist niemand mehr da. Hier gibt es nur noch uns beide, Sie und mich.«
    Der Namenlose begann zu verstehen – die Gedächtnisknospen an seinem Hals hatten Daten vom Weckmechanismus empfangen und leiteten sie ins Kontextzerebellum, wo Verbindungen geknüpft und Zusammenhänge analysiert wurden. »Ich bin der Letzte. Warum ausgerechnet ich?«
    »Die Mutter hat so entschieden – vielleicht hat sie geahnt, dass Sie fast hunderttausend Jahre schlafen würden. Als sie mit ihrem Schwarm aufbrach, legte sie die Reihenfolge fest. Sie waren jünger und stärker als alle anderen.«
    Seltsam, dachte der Namenlose, betrat den großen Kommunikationsraum und sah zum Brutgerüst, in dem einst die Mutter gelegen hatte. Er fühlte sich nicht stark, sondern schwach, trotz der Nahrung in seinen Mägen. Etwas stimmte nicht mit ihm.
    »Etwas stimmt nicht mit Ihnen«, sagte der Sekundant und richtete seine Sensoren auf ihn. »Ihr Bewusstsein …«
    War es die Waffe des alten Feindes? Hatte sie ihn selbst hier erreicht, im Versteck zwischen den Galaxien?
    »Es liegt vermutlich am langen Schlaf«, sagte der Namenlose und stapfte langsam durch den Kommunikationsraum, obwohl etwas in ihm danach drängte, erneut loszulaufen und zu fliehen vor … sich selbst? »Und an der Verantwortung, die jetzt auf mir liegt«, fügte er hinzu, als er vom Kontextzerebellum weitere verarbeitete Informationen erhielt. Das Signal war eingetroffen!
    Er blieb stehen. »Das Signal …«
    »Ja«, bestätigte der Sekundant. »In der letzten Phase unserer Bereitschaft. Nach fast einer halben Million Jahren. Das Signal ist endlich eingetroffen. Die Station selbst ist nicht mehr mobil, aber eins der Schiffe verfügt noch über einen intakten Energiekern. Die Mutter wies mich an, es für Sie in Bereitschaft zu halten.«
    Der namenlose Initiat warf dem mechanischen Geschöpf einen kurzen Blick zu, als er begriff: Es war nicht einfach ein Sekundant, der da zu ihm sprach, sondern eine letzte Personifizierung der Station. Ihre Schwäche war nicht mit seiner zu vergleichen: Sie siechte dahin; er hörte die letzten Worte eines fünfhundert Jahrtausende langen Lebens. Eines Lebens, in dem es immer um diesen Moment gegangen war, den Empfang des Signals.
    Er blickte noch einmal durchs Kommunikationszentrum – die wenigen noch aktiven, sich langsam drehenden Informationsfenster bestätigten das Eintreffen des Signals: Die beiden Großen Synchronisatoren waren aktiv geworden, jeweils einer in jeder der beiden Galaxien.
    Dann wandte er sich ab und stapfte erneut mit langen Schritten durch die sterbende Station. »Das Schiff startklar machen«, wies er den Sekundanten an. »Ich breche sofort auf.«
    »Erst müssen Sie wieder zu Kräften kommen und Ihr inneres Gleichgewicht stabilisieren.«
    »Dies ist das Ende der Ruhe«, sagte der Namenlose. »Dies ist die Zeit des Handelns. Das Signal beweist: Der alte Feind existiert noch. Die Arsenale müssen reaktiviert und Soldaten gebrütet werden.« Im Eingang des Hangars verharrte er kurz, reckte den Kopf der Decke entgegen und atmete die kalte Luft der sterbenden Station tief ein. »Die Kriegermütter warten auf meine Nachricht. Seit fünfhunderttausend Jahren hatte niemand von uns eine so wichtige Mission.«
    »Das stimmt«, erwiderte der Sekundant. »Dies ist die

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