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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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zu verdienen. Mway gehörte nicht zu den höher entwickelten Welten der Tausend Tiefen, vielleicht aufgrund der Nähe zu den Gemischten Gebieten, und Vergleiche mit dem Lebensstandard der Hohen Welten wären erst recht absurd gewesen. Aber die Städte erfüllten elementare Bedürfnisse, boten Unterkünfte, Lebensmittel, Bildung, medizinische Überwachung und Hilfe, bis hin zu einfachen Erweiterungen. Wer sich damit zufriedengab, konnte hundert Jahre und mehr in Komfort leben.
    Doch die hier tätigen Menschen gaben sich nicht damit zufrieden. Wie Evan Ten-Ten waren sie fest entschlossen, irgendwann die Hohen Welten zu erreichen und zu Kindern der Ewigkeit zu werden, zu Unsterblichen, denen sich das wahre Leben erschloss, ohne Grenzen.
    Seit Evan Ten-Ten vor fünf Monaten zum ersten Mal den Fuß auf Mway gesetzt hatte, verbarg er seine wahre Identität hinter einer Maske, die falsche DNS-Spuren zurückließ. Seit einem halben Echtjahr war er nicht Evan Ten-Ten, sondern Wyron Wironer von Akal, auf dem besten Weg zum Kandidaten. Es gab eine lückenlose Biografie, die er mithilfe eines von ihm weiterentwickelten Crawlers in die Datennetze von Mway eingeschleust hatte. Er führte ein Leben, das Wironers Profil entsprach, und er setzte weitere kleine autonome Programme ein, die ein gefaketes Netz aus sozialen Interaktionen schufen. Das alles diente dazu, bei eventuellen Überprüfungen und Nachforschungen keinen Verdacht zu erregen. Außerdem hatte er fast an jedem der vergangenen zweihundert Tage Nanomaschinen und molekülgroße Sensoren in der Incera-Stadt verteilt, wieder eingesammelt und erneut in den Ruinen versteckt – sie sollten verborgene Kontrolleinrichtungen identifizieren und infiltrieren, damit am entscheidenden Tag erst dann Alarm ausgelöst wurde, wenn es zu spät war.
    Evans Vorbereitungen hätten kaum gründlicher sein können. Und sie waren vollkommen nutzlos, denn bei den Ausgrabungen auf Mway gab es nicht die geringsten Kontrollen. Die Menschen vertrauten einander. Sie verzichteten ganz und gar auf Sicherheitskontrollen und Schutzmaßnahmen.
    Neben einem der schwarzen Kegeltürme blieb Evan Ten-Ten stehen, als müsste er verschnaufen. Aufmerksam und unauffällig sah er sich um. Dunkle Wolken krochen über den Himmel, schluckten das letzte Licht des Tages und den Glanz der ersten Sterne. Die alte Zitadelle der Incera schien sich ihnen entgegenzurecken, als wollte sie Mway verlassen und dorthin zurückkehren, woher ihre Erbauer vor einer halben Million Jahre gekommen waren.
    Er ging am Kegelturm vorbei und betrat das aus Synthomasse bestehende kleine Gebäude, das über dem Eingang zu mehreren Bohrtunneln errichtet worden war. Im Innern erwartete ihn weiches Licht, wie es Sheela mochte. Sie stammte von Kellupkia, einer der Dunklen Welten am Rande des Vorhangs, hinter dem sich die Alte Erde um ihre Sonne drehte – der äußerste Rand der Tausend Tiefen. Das mochte einer der Gründe dafür sein, warum sie sich auf Mway so wohlfühlte: Vertraute Düsternis war immer nur eine Handbreit entfernt, zum Anfassen nah. Evan aktivierte seine visuelle Erweiterung, die das Innere des Gebäudes taghell für ihn machte.
    Sheela saß nicht an ihrem Schreibtisch.
    Evan blieb stehen und runzelte die Stirn. Normalerweise erstellte sie um diese Zeit immer ihren Tagesbericht, mithilfe einer einfachen Datentafel. Er ließ den Blick umherstreichen und vergewisserte sich, dass alles an seinem Platz war.
    Geräusche kamen aus dem Schachtzugang, und Sheela kletterte daraus hervor; Staub lag auf dem Overall und ihrem blassen, puppenhaften Gesicht. Aufregung leuchtete in ihren großen, farblosen Augen. »Oh, du bist schon da.« Sie sah kurz aufs Chrono. »Bin spät dran. Ich habe noch eins gefunden, Wyron, sieh nur!«
    Voller Stolz zeigte sie ihm einen keilförmigen Gegenstand, nicht größer als ihre schmale Hand. Er war grauschwarz und bestand offenbar aus dem gleichen äußerst widerstandsfähigen Verbundstoff wie die Außenflächen der Zitadelle. »Weißt du was? Ich glaube, dass es sich um eine Art Schlüssel handelt. Mit ein bisschen Glück finden wir auch noch die passende Tür, und dann spazieren wir einfach in die Zitadelle hinein.«
    Lächelnd trat sie auf ihn zu und stellte sich kurz auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben, ging dann zu ihrem Schreibtisch. »Nur einige Minuten für den Bericht, Wyron.« Sie warf ihm den keilförmigen Gegenstand zu. »Damit kannst du dir die Zeit vertreiben.«
    Sie setzte sich

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