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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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besonderen Quell des Lebens sind Durchgänge, kleine Wurmlöcher, die über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg stabil bleiben. Gut für uns. Ein glücklicher Zufall, der uns den Kosmos erschließt.
    »Manche Gelehrte vergleichen Filigrane mit Schleimpilzen«, sagte er. »Myxomyzeten. In dieser Vorstellung bestehen die Fäden aus amöboiden Energiezellen, die ein kollektives Plasmodium bilden. Der Weber, das spinnenartige Geschöpf dort …« Esebian deutete auf den dunklen Klumpen an der Basis des Filigrans. »… gibt dem Plasmodium Struktur und fördert die Sporenbildung, wodurch das ganze Gebilde wächst.«
    »Ein Pilz?«, fragte Leandra enttäuscht.
    »Es ist eine Theorie von vielen. Um Ihre Frage zu beantworten: Mich erinnert das Filigran an einen Korallenstock.«
    Daraufhin lächelte die junge Frau wieder, vielleicht weil sie die letzten Worte für romantisch hielt.
    Am Ende des Zugangstunnels standen die Kapseln für die Passage bereit. Bevor Esebian sich ihnen zuwandte, sah er noch einmal zum Filigran und bemerkte mehr als ein Dutzend Fernraumschiffe, hintereinander aufgereiht wie Perlen an einer Kette. Sie warteten auf die Passage durch das größte Wurmloch in einem besonders dicken Energiefaden, erkennbar als ein Schatten im violetten Flirren. Esebian fragte sich, warum sie warten mussten, und dann sah er einen zweiten Schatten, der aus dem ersten kam, wie der Wurm aus dem Wurmloch: ein dunkler Zylinder, vier oder fünf Kilometer dick und mindestens fünfzig oder sechzig lang. Ein Großtransporter der Enha-Entalen, begleitet von einer Eskorte aus kleinen Pfeilschiffen und Administratoren des Direktoriats. Was machte ein so großer Transporter im eher unwichtigen Haredion-System?
    »Man hat uns die gleiche Kapsel zugewiesen, Esebian«, freute sich Leandra. Sie schien sich der Unhöflichkeit nicht bewusst zu sein – einen Kandidaten sprach man nicht einfach mit dem Namen an, sondern mit seinem Titel. Allerdings hatte Esebian ihr seinen Titel nicht genannt; er trug nicht einmal ein Abzeichen. Als Konsul hätte er seine Kandidatenprivilegien nutzen und mit besonderem Komfort reisen können, in einer Kapsel ganz für sich allein oder sogar an Bord eines Administratorenschiffes, wenn eins zur Verfügung stand, aber er wollte das Haredion-System verlassen, ohne Aufsehen zu erregen.
    Zwei Reisende hatten bereits in Liegesesseln Platz genommen; neben ihnen stand ein Grauer und schien sich nicht entscheiden zu können, welchen freien Sessel er wählen sollte – Esebian hatte ihn zuvor nicht unter den anderen Passagieren bemerkt. Als Leandra ihn sah, erschien unübersehbares Unbehagen auf ihrem Gesicht. Wie unschlüssig zögerte sie an einem der Sessel. »Reist … er mit uns?«, fragte sie und schien sich hinsichtlich des Geschlechts nicht ganz sicher zu sein.
    Wir können so enden wie er , flüsterten gleich mehrere Stimmen in Esebian, der vom unerwarteten Anblick des Grauen überrascht war. Seht ihn euch an! So ist es, wenn man die Farbe des Lebens verliert. Übrig bleibt Grau, die Farblosigkeit zwischen Leben und Tod.
    Leandra hatte einen freien Liegesessel gewählt und sagte hastig: »Nein, nein«, als der Graue direkt neben ihr Platz nehmen wollte. »Der ist für meinen Begleiter.«
    Der Graue – ob Mann oder Frau ließ sich wirklich kaum feststellen – richtete einen leeren Blick erst auf Leandra und dann auf Esebian, wandte sich wortlos um und nahm den letzten freien Liegesessel auf der gegenüberliegenden Seite.
    Die beiden anderen Reisenden hatten bereits die Augen geschlossen und achteten nicht darauf, was um sie herum geschah. Esebian vermutete, dass sie sich konzentrierten und einen Traum für den Transit wählten.
    Er trat zu Leandra.
    Sie nahm Platz, lehnte sich aber nicht zurück, sondern beugte sich zur Seite. »Ist er wirklich … ich meine, tot ?«
    Auf Mway gab es keine Grauen, erinnerte sich Esebian. Zumindest hatte er damals keine gesehen. »Er ist weder tot noch lebendig. Graue sind lebende Tote.«
    Leandra sah kurz zu dem Grauen auf der anderen Seite der Kapsel, die sich leise summend in Bewegung setzte und durch einen Energiefaden des Filigrans glitt. »Ein ehemaliger Kandidat, nicht wahr? Ich meine, jemand, bei dem es nicht geklappt hat.«
    »Ja.« Esebian sprach ebenso leise wie die junge Frau. »Vielleicht hat er nicht genug Verdienste erworben, um den nächsten Aufstieg zu schaffen. Als die fällige Therapie ausblieb, wurde ein Grauer aus ihm.« Das passiert auch mit uns, wenn wir

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