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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Verbindung nach Taschka bot. Hunderttausende nutzten die Gelegenheit, eine Welt zu besuchen, die einer der menschlichen Vorstellungen vom Paradies sehr nahe kam, unterbrachen dort ihr Streben nach Meriten und machten Pause, um über das Erreichte nachzudenken und Pläne für die nächsten Etappen auf dem Weg zur Unsterblichkeit zu schmieden. Die meisten von ihnen konkretisierten die Zwischenbilanz ihres Lebens mit einem Backup. Sie suchten die Interface-Zimmer der Filialen auf, schlossen sich dort ans Archiv an und ließen ihre Erinnerungen aufzeichnen, die bewussten ebenso wie die unbewussten. Wer nicht den Kandidatenstatus erlangt oder sich gegen den Aufstieg entschieden hatte, erhoffte sich von Aufzeichnung und Archivierung eine andere Art von Unsterblichkeit, denn die gespeicherten Erinnerungen, Erfahrungen, Gedanken und Gefühle konnten auf bionische Gehirne übertragen werden. Auch Bewohner der Gemischten Gebiete kamen hierher, um ihr bisheriges Leben im Archiv abzulegen. Manche von ihnen verdienten sich Meriten, indem sie die Sicherungskopie ihrer Erinnerungen allen Interessierten zur Verfügung stellten und damit Einblick selbst in die intimsten Dinge ihres Lebens gewährten. Darum ging es allen, die nach Oxnam kamen: um Leben in der einen oder anderen Form.
    Esebian bildete eine Ausnahme. Er kam nach Oxnam, um einen Mord zu planen.
    Als Kandidat der siebten Stufe unterhielt er eine kleine Residenz auf Oxnam, im neunundneunzigsten Stock eines Turms, der wie ein weißer Finger von einem großen Atoll aufragte. Seit fünfundzwanzig Jahren hatte er das Apartment nicht mehr betreten, aber es meldete volle Bereitschaft, als es sein Fragesignal empfing, was in diesem besonderen Fall so viel bedeutete wie: Alle Systeme funktionierten, auch die versteckten, und niemand hatte versucht, in die Wohnung einzudringen. Esebian nahm den kurzen Bericht mithilfe seiner Kommunikationserweiterungen entgegen, während er in der Kandidatensektion eines Panoramashuttles saß – diesmal trug er die Zeichen des Konsuls am Kragen – und zur nächsten Archivfiliale flog. Sie glitzerte wie das Meer, dessen Wellen an ihren Sockel aus Syntho schlugen, ein Juwel inmitten eines Juwels: rund und facettiert wie ein geschliffener Edelstein, blau wie Türkis und groß genug, um mehr als hunderttausend Personen aufzunehmen. Der größte Teil der Filiale erstreckte sich unter dem Sockel, war in den Leib eines erloschenen Vulkans gegraben, dessen Gipfel bis dicht unter die Wasseroberfläche reichte. Noch tiefer unten, viele Kilometer unter den längst erkalteten alten Magmakammern, schlug das glutflüssige Herz des Planeten, und dort steckten die von den Maschinen der Magister installierten Zapfer. Ihre Sonden führten fast bis in den Kern hinab und gewannen aus Hitze und Druck Energie nicht nur für die Maschinen, Städte und Archive von Oxnam, sondern auch für zwei Seeder, die der Magister dieses Sonnensystems auf einer Insel im Norden konstruierte.
    Genug Energie, um die Erinnerungen von vielen Millionen Besuchern für mindestens hunderttausend Jahre zu speichern. Das garantierten die Magister, und Esebian hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.
    Der Shuttle landete bei einer kleinen Flotte von unterschiedlich großen Orbitalspringern, und Esebian stieg zusammen mit den anderen Passagieren aus. Zwei birnenförmige Kirgu schnauften und wankten zwischen den Menschen, die zu den Eingängen der Filiale strebten, und weiter vorn schimmerten rot und golden die langen Flügel eines libellenartigen Isquri. Von Leandra war weit und breit nichts zu sehen.
    Als Esebian zum nächsten Eingang schritt, fragte er sich, warum er nach ihr Ausschau gehalten hatte. Vermutlich war sie weiter auf dem Weg nach Halechko, um bei den Fragestellern die richtigen Fragen für ihr Leben zu finden. Welchen Traum hatte sie während des Transits durch das Haredion-Filigran geträumt? In seiner Erinnerung sah er, wie sich Leandra die Arme rieb, als sei ihr kalt. Eine junge Frau, nur wenig mehr als zwanzig Echtjahre alt – sie stand noch in der Tür des Lebens, vor ihr ein weiter Weg mit vielen Abzweigungen, die Entscheidungen von ihr verlangen würden. Diese kleine Geste, wie sie sich die Arme rieb, der dabei in die Ferne reichende Blick … Etwas in Esebian hatte sich davon berührt gefühlt.
    Konzentrier dich auf deine Aufgabe , erklang eine mahnende Stimme in seinem Innern. Lass dich von nichts ablenken. Es war die gemeinsame Stimme all seiner Persönlichkeiten, ohne

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