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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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nicht genug Meriten bekommen! In Esebians Innenwelt herrschte noch immer Aufruhr. Die Stimmen früherer Leben flüsterten, und Caleb wartete eine Pause ab, um unmissverständlich kundzutun: Noch dieses eine Mal. Dann haben wir alle Hürden überwunden. Kyrill erwiderte: Wenn Tirrhel Wort hält. Und Caleb sagte: Oh, wir werden dafür sorgen, dass er Wort hält.
    »Legen Sie sich hin, Leandra. Und denken Sie nicht mehr an Graue; oder wollen Sie davon träumen? Denken Sie an etwas Angenehmes.«
    Sie nickte, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    Esebian wollte seinen eigenen Rat beherzigen, aber ohne den koordinierenden Einfluss der Erweiterungen entwickelten seine Gedanken ein gewisses Eigenleben und kehrten kurz nach Mway zurück. Das war ein Fehler, denn genau in diesem Augenblick erfolgte der Transit.

 
8
     
    Die Sonne hing blass an einem graubraunen Himmel, der nie richtig hell wurde. Mway war eine düstere Welt, einst Bastion eines düsteren Volkes mit schwarzer Seele. Vor fünfhunderttausend Jahren waren die Incera von der Großen Magellan'schen Wolke in die Milchstraße gekommen und hatten Mway zu einer Bastion ausgebaut, um von hier aus mehrere kleine Vorstöße in die Spiralarme der Galaxis und einen großen in Richtung Kern zu unternehmen. Dass sie dabei mit dem Schlimmsten gerechnet hatten (oder vielleicht selbst das Schlimmste gewesen waren, für andere Völker), bewies das Wrack eines Kampschiffes, das vor knapp hundert Jahren im Kuiper-Gürtel des Laurole-Systems, zu dem Mway gehörte, gefunden worden war. Ein echter Glücksfall für die Wissenschaft des Direktoriats, denn bei den Untersuchungen des Wracks ergaben sich Hinweise auf Basiswelten und Stützpunkte der Incera, und dadurch kamen die xenoarchäologischen Forschungen ein ganzes Stück voran. Erhofften sich Direktoren und Magister technische Artefakte oder gar funktionsfähige Waffen, nach all der Zeit? Oder war ihr Interesse allein historischer Natur? Was auch immer der Fall sein mochte: Sie förderten die Forschungen mit vielen Meriten, insbesondere die Ausgrabungen auf Mway; der Planet schien vor fünfhundert Jahrtausenden eine zentrale Rolle für die aggressiven Incera gespielt zu haben, vielleicht eine ebenso wichtige wie Lahor mit dem Labyrinth. Seit mehr als sechzig Echtjahren waren Wissenschaftler aus allen Teilen des Direktoriats damit beschäftigt, eine Stadt der Incera auszugraben, und in ihrer Mitte hatten sie inzwischen die oberen Teile einer Zitadelle freigelegt, düster wie die Welt, die zu ihrem Grab geworden war.
    An diesem Abend war Evan Ten-Ten zur Zitadelle unterwegs, um zu töten.
    Ein halbes Jahr lang hatte er alles bis ins kleinste Detail vorbereitet und nichts dem Zufall überlassen. Sein Ziel war die Ausgrabungsleiterin Sheela: vierzig Scheinjahre alt, Kandidatin der dritten Stufe, Doyen, sehr ehrgeizig, sehr gründlich, sehr erfolgreich. Seit mehr als zehn Jahren arbeitete sie hier in dieser Incera-Stadt, und offenbar strich sie dabei mehr Meriten ein, als Evans Auftraggeber recht war.
    Wie banal, deshalb jemand anders den Tod zu wünschen: Neid. Missgunst. Solches Denken verriet einen beschränkten geistigen Horizont, fand Evan Ten-Ten, der gerade erst begonnen hatte, die Abgründe der menschlichen Psyche zu verstehen. Aber was auch immer er von den Hintergründen und Motiven hielt: Er hatte den Auftrag übernommen und musste ihn zu Ende führen. Die ersten Meriten hatte die Treuhand bereits erhalten; die anderen würden später folgen. Für Evan ein Schritt weiter in die Zukunft, in Richtung Unsterblichkeit. Für Sheela … das Ende aller Träume.
    Lampen leuchteten zwischen und über den Ruinen der alten Incera-Stadt, über den Kegeltürmen der Zitadelle sogar eine kleine künstliche Sonne, aber es gab trotzdem genug Schatten, und sie schienen dichter und dunkler zu werden, als er sich dem gewaltigen Bauwerk im Zentrum der Stadt näherte. Es wies ebenfalls Zeichen des Verfalls auf – die einst glatten Außenflächen, schwarz wie Obsidian, waren rissig und rau –, befand sich aber in einem viel besseren Zustand als der Rest der Stadt. Kalter Wind wehte und trug Evan die Stimmen der Männer und Frauen entgegen, die noch immer in den Bohrlöchern herumkletterten, Proben nahmen, Gebäude vermaßen, Skizzen anfertigten und die Maschinen überwachten, die sich durch Sondierungstunnel gruben, auf der Suche nach verborgenen archäologischen Schätzen. Niemand von ihnen brauchte zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt

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