Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
genug aufgestiegen wäre, hätte er nicht nur die Datennetze des Direktoriats sehen können, sondern auch die der anderen Nationen in der Milchstraße: wenn nicht ebenfalls in Form von Fäden und Strängen, die direkten Zugriff erlaubten, so doch als purpurrot und violett glühende Konglomerate aus Linien, Punkten und Knoten. Die Verbindungen der Klerikalen, über die sie ihre geheimen religiösen und esoterischen Wahrheiten austauschten, waren ein orangeroter Haufen neben den Netzen des Direktoriats, und das Poseidon bildete ein verschlungenes Möbiusband, in dem Dutzende von gelben Herzen zu schlagen schienen: Knotenpunkte und Verteiler, jeder einzelne von einem Kustoden gehütet. Der Kongress sah aus wie eine lange, zerfranste Decke, mit ultramarinen, silberweißen und karmesinroten Mustern. Weiter entfernt, wie Wolken über Berggipfeln, erstreckten sich die Datenäther der Enha-Entalen, Meronna, Kirgu, Isquri, Benink, Malangatar, Chisnall, Noia sowie der Völker auf der anderen Seite der Milchstraße und in den sie begleitenden Zwerggalaxien.
    Doch anstatt aufzusteigen, ließ sich Esebian tiefer in die Netze des Direktoriats sinken, folgte dabei dem Verlauf eines dicken, rostroten Strangs, an dem braune, warzenartige Gebilde auf die Präsenz weiterer Archive hinwiesen. Er vermied es ganz bewusst, nach Magistern Ausschau zu halten, die in der Lage gewesen wären, ihn trotz seines derzeitigen Tarnmodus zu bemerken, wenn er Suchsignale ausgeschickt hätte – es galt, Aufmerksamkeit zu vermeiden. Lichter tanzten um ihn herum wie Schneeflocken in einem Wintersturm, und selbst ein Magister hätte ein oder zwei Sekunden gebraucht, um sie alle zu zählen. Es waren Such- und Datenanfragen, von Archiven oder anderen Anschlüssen in die interstellaren Netze eingegeben. Er fügte ihnen ein eigenes Signal hinzu, das jedoch keine Fragen stellte und auch nicht versuchte, irgendwo Daten abzurufen. Stattdessen rief es in einem individuellen Code: Hier bin ich und warte auf euch.
    Esebian musste sich nicht lange gedulden. Der erste Crawler erschien fast sofort neben ihm, ein käferartiges Wesen mit Dutzenden von Beinen und zwei langen Fühlern, die zur Witterung relevanter Datenpakete dienten. Das Geschöpf steckte halb in dem rostroten Strang, hob den Kopf und sprach mit einer Stimme, die Esebians Ohren als ein quietschendes Zirpen wahrnahmen, während die Kommunikationserweiterungen komprimierte Daten empfingen. Die erste Botschaft lautete: El'Kalentar hat vor seinem Aufstieg zum Erlauchten nicht existiert.
    Während Esebian noch damit beschäftigt war, diesen Hinweis zu verarbeiten – der Crawler übertrug erläuternde Informationen –, näherten sich weitere künstliche Geschöpfe, die er vor einigen Tagen auf die Datenreise geschickt hatte. Manche kamen gesprungen, muskulöse kleine Wesen, die nur aus Beinen zu bestehen schienen; andere krochen und glitten wie Würmer aus den Strängen hervor.
    El'Kalentar hat vor seinem Leben als Unsterblicher nicht existiert.
    Esebian erfuhr, welche Archive der erste Crawler besucht und in welchen Teilen der Datennetze er herumgeschnüffelt hatte. Er empfing Bilder, sah die leeren Stellen in statischen Datenbanken und Dateisystemen, die über Personen Auskunft gaben.
    Das ist interessant , sagte Caleb nach einer Weile. El'Kalentar hat alle Spuren seines Lebens als Sterblicher beseitigt. Und dabei ist er sehr gründlich gewesen. Es gibt keine Aufzeichnungen mehr darüber, wer und was er vor seinem Aufstieg zum Erlauchten war.
    Ist so was möglich? , fragte Kyrill argwöhnisch. Kann jemand alle seine Spuren auslöschen? Was ist mit seinen Therapien? Wo und wie hat er Meriten erworben? Wo hat er gewohnt?
    Nichts , antwortete der erste Crawler und fügte diesem einen Wort mehrere Terabyte erklärender Daten hinzu. Es gab keine Aufzeichnungen, darauf lief es hinaus. Es war allgemein bekannt, dass die Erlauchten über weitaus mehr Möglichkeiten verfügten als Kandidaten oder gar gewöhnliche Sterbliche, und El'Kalentar schien sie genutzt zu haben, um einen endgültigen Schlussstrich unter seine Vergangenheit zu ziehen. Irgendwann hatte Kalentar genug Meriten erworben, um das letzte Hindernis zu überwinden, und dann war El'Kalentar geboren, ein Mann, der aus dem Nichts kam und von dem man nicht wusste, wie alt er beim Aufstieg zum Erlauchten gewesen war.
    Das alles lag sechstausendvierhundert Jahre zurück.
    El'Kalentar, Vorsitzender des Direktoriats, Regent der Tausend Tiefen und Hohen

Weitere Kostenlose Bücher